Die deutsche „Kaiserliche Gouvernements-Schule“ in Tsingtau 1899 – 1920, ein Reform-Realprogymnasium

Die deutsche Schule in Tsingtau ist bis 1914, neben Windhuk in Südwest, wohl die einzige Reichsschule in Übersee gewesen, die vollständig vom Deutschen Reich unterhalten wurde.  Zu Beginn soll die Hauptquelle, die für eine Geschichte der  Schule in Tsingtau 1899 – 1920 zur Verfügung steht, vorgestellt werden.  Ab 1903/04 hat der Direktor jeweils im Juli einen gedruckten Bericht veröffentlicht, der sich auf die Ereignisse des abgelaufenen Schuljahres bezieht. Insgesamt sind so von Juli 1904 bis Juli 1914 elf Jahresberichte erschienen, im Umfang von jeweils 20-22 Seiten. Alle haben dasselbe inhaltliche Schema: I. Lehrverfassung. a) Über-sicht über die Lehrgegenstände und die für dieselben bestimmte Stundenzahl. b) Übersicht über die Verteilung der Stunden unter die einzelnen Lehrer. c) Übersicht über die während des Schuljahres erledigten Lehraufgaben. Für alle neun Klassen, von der untersten, der 3. Vorschulklasse, bis zur Untersekunda wird zunächst der Klassenlehrer genannt, und dann für jede Klasse ausführlich bei jedem einzelnen Fach angegeben, welche Themen behandelt wurden. Im Fach Deutsch werden auch die gestellten Themen der Aufsätze erwähnt. Im letzten Bericht von 1913/14 nimmt dieser Teil, I.c., allein sieben enggedruckte Seiten ein. d) bringt die Themen des katholischen Religionsunterrichtes für die einzelnen Klassen, und e) die Aufgabenbereiche des technischen Unterrichts (Linearzeichnen, Freihandzeichnen, Singen, Handarbeit, Turnen).   f) bringt ein Verzeichnis der eingeführten Lehrbücher. Abschnitt II enthält die Chronik des abgelaufenen Schuljahres, zum Schluß werden die gestellten Aufgaben für die schriftlichen Klausuren der Einjährigenprüfung angeführt. Teil III nennt sich „Statistische Mitteilungen“ mit Tabellen der Schülerzahl pro Klasse, der Religions- und Heimatverhältnisse der Schüler, der Frequenz der letzten 5 Jahre und den Namen der Schüler, die nach bestandener Schlußprüfung die Schule verlassen. Abschnitt IV nennt jedes Buch, jede Landkarte, jedes Gerät, das in dem Jahr angeschafft oder geschenkt wurde. Zum Schluß bringt Teil V Mitteilungen an die Schüler und ihre Eltern, u.a. über die Ferientermine, die Höhe des Schulgeldes usw.   Vielleicht gibt es für keine andere deutsche Schule über elf kontinuierliche Jahre hin eine so dichte und detaillierte Information über alles, was dort gelehrt wurde, welche Lehrbücher man verwendete, welche Titel die Lehrer- und Schülerbibliothek besaß und anderes mehr. Nur zwei- oder dreimal wurde in diesen 11 Jahrgängen vom üblichen Schema abgewichen. Ein einziges Mal brachte ein Jahresbericht, und zwar der von 1905/06, die Namen aller 65 Jungen mit Geburtstag und –ort, sowie dem Beruf des Vaters. Der Jahresbericht 1910/11 bringt Kurzbiographien aller damaligen Lehrer, und in den späteren Annalen werden bei neueingestellten Lehrern auch ihre Kurzbiographien angeführt, was vor 1910 nie der Fall war.

       Ein Jahr nach der Pachtung des Kiautschou-Gebietes wurde am Pfingstdienstag 1899 die „Deutsche Schule“ in Tsingtau mit 3 Kindern eröffnet. Die Schule wurde begründet als eine Einrichtung der Bürgergemeinde Tsingtaus und stand unter der obersten Aufsicht und Leitung des Gouvernements, welches für alle Mittel aufkam, die nicht durch das Schulgeld gedeckt werden konnten. Dem Schulvorstande, welcher alle Jahre neu  gewählt wurde, gehörten dauernd der Zivilkommissar, als Vertreter des Gouvernements, und der vom Gouvernement bestätigte Leiter der Schule an. Im ersten Jahr war das Pfarrer Richard Wilhelm, in den nächsten 2 Jahren dann Pfarrer Lic. Wilhelm Schüler. Den größten Teil des Unterrichts erteilte der Leiter, daneben unterrichteten noch Pater Bartels und Missionar C. Johannes Voskamp, auch Frau Wilhelm und Frau Schüler. Nach einjährigem Bestehen wurde die Anstellung eines Volksschullehrers nötig, der seine volle Kraft der Schule widmen konnte, und im Sept. 1900 begann Herr Robert Berger aus Berlin seine Tätigkeit. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Gouvernement auch begonnen, ein eigenes Schulhaus an der Bismarckstraße zu bauen, das am 2. Sept. 1901 bezogen werden konnte. Vorher hatte im ersten Jahre (1899) der Unterricht in verschiedenen alten Chinesen-häusern stattgefunden, z.B. auch im Korridor des Gerichtsgebäudes, dann von Febr. 1900 bis Juli 1901 in 2 Zimmern des neuen Hotels Prinz Heinrich. Da die Bürgergemeinde finanziell nicht in der Lage war, die Schule unterhalten und weiter ausbauen zu können, übernahm die Regierung sie ab 1. April 1902 als „Gouvernements-Schule“  in eigene Verwaltung. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt 29 Schüler und Schülerinnen. Weil gleichzeitig der Orden „Franziskanerinnen Missionarinnen Mariens“ in Tsingtau das Heilig-Geist-Kloster nebst einer Mädchenschule mit Pensionat eingerichtet hatte, beschloß das Gouvernement, die Staatsschule ab Ostern 1902 als Knabenschule weiterzuführen. Die Mädchen mußten nun die Schule des Heilig-Geist-Klosters besuchen. Auch war man, nach langen Diskussionen im Schulvorstande, zu dem Schlusse gekommen, daß nicht eine Elementarschule sondern ein Realgymnasium den hiesigen Verhält-nissen am besten entspräche. Deshalb traf im Oktober 1902 der 44jährige Paul Tuczeck als erster Oberlehrer ein, der nun die Leitung übernahm – und übrigens bis 1920 beibehielt! Er hatte Mathematik und Physik an den Universitäten Heidelberg und Halle studiert. Er besaß bereits Auslandserfahrung, von 1889 bis 1898 war er Lehrer an der Deutschen Schule in Valparaiso gewesen. Er legte dem Unterricht einen zunächst provisorischen Lehrplan zugrunde, der im allgemeinen dem des preußischen Realgymnasiums entsprach. Die Abweichung bestand darin, daß neben Latein nicht Französisch, wie zuhause, sondern Englisch als erste neue Fremdsprache eingeführt wurde, da in Ostasien das Englische von weit größerem Nutzen war. Mit zunehmen-der Schülerzahl zeigte es sich, daß die Gouvernements-Schule, als einzige Knabenschule, noch die Funktion einer Mittelschule zu übernehmen hatte. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Schüler kam nach ihrer Begabung und Vorbildung, nach der sozialen Stellung und den finanziellen Mitteln ihrer Eltern für eine höhere Schule eigentlich nicht in Frage. Vor allem war das Lateinische für ihren späteren Beruf entbehrlich und zwecklos. Daher beschloß man, dem Unterrichte den Lehrplan eines Reformrealgymnasiums zugrunde zu legen. Die Struktur der Schule war nun die folgende: An eine dreiklassige Vorschule schloß sich ein dreiklassiger lateinloser Unterbau mit den Klassen Sexta, Quinta und Quarta an. Als erste Fremdsprache Englisch ab Sexta, Französisch ab Quarta. Auf diesem Unterbau ruhte der Mittelbau, welcher 3 Realgymnasialklassen umfaßte: Untertertia, Obertertia, Untersekunda. Natürlich gab es auch hier Schwierigkeiten, denn in den Mittelbau traten auch Schüler ein, die aufgrund ihrer Vorbildung nicht am Lateinunterricht teilnehmen konnten oder wollten. Es war deswegen geplant, für diese später, wenn eine Vollständigkeit des Lehrkörpers erreicht war, Parallelabteilungen zu schaffen, mit stärkerer Betonung der neueren Sprachen, Mathematik und kaufmännischem Rechnen. (Dieser Plan ist bis 1914 nie realisiert worden.)

                  Um die Rentabilität der Schuleinrichtung zu erhöhen, war das Gouvernement daran interessiert, auch Schüler aus anderen Städten Ostasiens zu gewinnen. Immerhin gab es seit 1895 eine deutsche Schule in Shanghai. Herr Berger, der als erster Lehrer eingetroffen war, richtete, anscheinend privat, ein Alumnat für auswärtige Schüler ein, das ab 1905 vom Gouvernement übernommen wurde. Oberlehrer Küntzel und Frau leiteten es mehrere Jahre, dann Oberlehrer Kusche und Frau bis 1914.  Die Zahl der auswärtigen Schüler nahm im Laufe der Zeit zu und schwankte in den letzten Jahren zwischen 15 bis 22.

              Als Oberlehrer Tuczeck im Sept. 1902 eintraf, konnte er bereits eine Quinta bilden, 1903/04 kam die Quarta hinzu, 1904/05 die Untertertia, 1905/06 die Obertertia, 1906/07 als letzte Klasse die Untersekunda. Im Juli 1907 wurde zum ersten Male eine Schlußprüfung abgehalten, die 5 schriftliche Klausuren und eine mündliche Prüfung umfaßte. Alle 5 Kandidaten bestanden und gaben als Berufsziel an: Kaufmann! Die Schulleitung legte großen Wert darauf, den Abschluß als sog. Einjährigen-Prüfung anerkannt zu bekommen. Mit einem gewissen Stolz konnte sie später vermelden, daß ab 1908 die Gouvernements-Schule die Berechtigung hatte, „Zeugnisse für die wissenschaftliche Befähigung zum einjährig-freiwilligen Militärdienst“ auszustellen. (Was dieser Dienst mit Wissenschaft zu tun hat bleibt unklar.) 

                    Der Juli 1907 brachte noch eine andere Neuerung. Da Jahr für Jahr die Schülerzahl angestiegen war und 1906/07 man 78 Schüler in neun Klassen unterrichten mußte, war das 1901 bezogene Gebäude  mit seinen ursprünglich 4 Klassenräumen und einer Lehrerwohnung im Obergeschoß zu klein geworden. Längst war der Lehrer ausgezogen und die ehemaligen Wohnzimmer nebst Aula zu zusätzlichen Klassenräumen umfunktioniert worden. Das Gouvernement hatte deswegen 1906/07 ein neues, viel größeres Schulhaus  bauen lassen, das am 12. Juli 1907 eingeweiht wurde. „Dieses neue Schulhaus sah 12 Klassen für insgesamt 280 Schüler vor, dazu einen Arbeitsraum für Beschäftigung in den Freistunden, einen Zeichensaal mit Modellraum, ein Physikzimmer mit anstoßendem Laboratorium, ein Amtszimmer des Schulleiters, ein Konferenzzimmer, Sammlungsräume und eine Aula. Das geräumige Schulgelände bot reiche Gelegenheit zur Sportbetätigung in den Mußestunden“ (Wirtz S. 274).

          Im Jahre 1905 verstärkte sich die Agitation der (überwiegend protestantischen) Eltern, die auch Mädchen unter ihrem Nachwuchs hatten, diese nicht mehr in die Schule des Heilig-Geist-Konventes schicken zu müssen. Sie setzten eine Bittschrift auf, welche sie im September an den Staatssekretär des Reichsmarineamtes, Admiral von Tirpitz, sandten. Ihr Inhalt lautet:

    „Euer Excellenz beehren sich die unterzeichneten Eltern und Lehrer schulpflichtiger Mädchen des Schutzgebietes folgende Bitte ergebenst vorzutragen. Die einzige Anstalt in der zur Zeit die Mädchen ihren wissenschaftlichen Unterricht erhalten können, ist das katholische Kloster der Franziskanerinnen Missionärinnen Mariens. Von diesen hat gutem Vernehmen nach nur eine das preußische Lehrerinnen Examen, wenn auch nur für Volksschulen, abgelegt. Die Anstalt bietet somit keine Gewähr dafür, den wissenschaftlichen Anforderungen genügen zu können, zumal eine staatliche Aufsicht nicht ausgeübt wird. Durch die geringen Leistungen und Fortschritte unserer Töchter haben wir leider diese Befürchtung bestätigt gefunden. Der Mangel pädago-gischer Bildung der Lehrerinnen macht sich sowohl innerhalb der Schule durch unzureichende Behandlung des Lehrstoffes als auch außerhalb durch die ungleiche Verteilung häuslicher Arbeiten geltend, für deren Anfertigung die nicht genügend vorbereiteten Kinder auf die Hülfe der Eltern verwiesen werden.

         Da die Schule, zumal die des Auslandes, zugleich einen erziehlichen Einfluß auf die Kinder ausüben soll, so halten wir ein katholisches Kloster, in dem die Schwestern von den Vorschriften ihres Ordens beeinflußt sind, für heranwachsende evangelische Mädchen nicht geeignet. Hat man schon in der Heimat den streng konfessionellen Schulen gegenüber die paritätischen vorgezogen, so erachten wir erst recht im Auslande die letzteren für nötig, damit die Kinder nicht einseitig erzogen werden.

          Der deutsch nationale Character jener Klosterschule leidet unter der Zusammensetzung des Lehrerinnenpersonals, von denen nur zwei der deutschen Sprache völlig mächtig sind, sowie dadurch, daß die Anstalt dem Mutterhaus in Paris untersteht. Im Unterricht des Deutschen und der Geschichte, sowie an nationalen Festtagen hat sich dies bereits geltend gemacht.

                 Wie den Knaben, so möchten wir auch unsern Töchtern eine gute wissenschaftliche Ausbildung und eine deutsche nationale Erziehung im Auslande mit auf den Lebensweg geben. Wir wenden uns daher an Euer Excellenz mit der ergebenen Bitte, durch eine geeignete Schule uns in dieser wichtigen Frage zu Hülfe kommen zu wollen.“

             Es dauerte dann doch noch 2 Jahre, bis das Gouvernement schließlich, ab Herbst 1907, eine „Staatliche Mädchenschule“ einrichtete. Als Quartier bot sich das bisherige Schulgebäude an, da die Knaben im Sept. 1907 in das neue Haus umzogen. Für die zunächst vorgesehenen 2 Abteilungen trafen aus Deutschland zwei Lehrerinnen ein. Der gedruckte Bericht für das Schul-jahr Sept. 1907 bis Juli 1908 erwähnt diese (höhere) Mädchenschule und die Lehrerinnen mit keinem Wort und bringt trotzdem eine faustdicke Überraschung. Nicht im Text, sondern nur hinten in der Statistik der Schülerzahl pro Klasse wird in einer Fußnote erwähnt: „Inbegriffen sind 28 Mädchen, welche die unteren Klassen besuchen.“  Das heißt also, aus der “Knaben-schule“ ist eine (zunächst partielle) Koedukationsschule geworden! Weiterhin meldet dieselbe Fußnote: „Fräulein Crusen nahm mit Genehmigung der vorgesetzten Behörden als Hospitantin am Unterricht der Untersekunda teil; der Abschlußprüfung hat sie sich nicht unterzogen.“   Erst im Report von 1908/09 trägt ein Abschnitt die Überschrift „Mädchenklasse“, von der es heißt: „Von der staatlichen Mädchenschule ist bisher nur die oberste Klasse, deren Lehrerin Frl. Siebert ist, eröffnet worden, denn von der Einrichtung einer zweiten Mädchenklasse mußte in diesem Jahre abgesehen werden, da wegen Erkrankung des Lehrers May und wegen des verspäteten Eintreffens des Oberlehrers Roser die zweite Lehrerin, Frl. Davidsen, in der Vorschule und in den unteren Klassen der Knabenschule beschäftigt werden mußte. Ein Teil der für die Mädchen-schule bestimmten Kinder ist während dieser Übergangszeit, außer in der Vorschule, in den unteren Klassen mit den Knaben zusammen unterrichtet worden.“   Da die sog. Mädchenklasse (U II plus O III) 1908/09 lediglich aus 5, dann 1909/10 nur noch aus 3 Schülerinnen bestand, wurde sie abgeschafft. Damit war die „Staatliche Mädchenschule“ sang- und klanglos eingegangen und die Tsingtauer Gouvernementsschule eine voll integrierte Koedukationsschule geworden. An der Abschlußprüfung im Juni 1912 nahm zum ersten Male und erfolgreich eine Schülerin teil. Es handelte sich um die 17jährige Margarete Tuczeck, eine der Töchter des Schuldirektors. Bei der letzten Abschlußprüfung, am 29. Juni 1914, nahm zum ersten Male ein „echter“ Tsingtauer teil, nämlich Wilhelm Kunze. Er war das erste, am 2.9.1898, in Tsingtau geborene deutsche Kind, deshalb war u.a. Kaiser Wilhelm II. auch einer seiner Paten.

          Zum Schluß dieser Periode 1899 – 1914 seien noch einige Statistiken angeführt.

Folgende Tabelle bringt die Zahl der Schüler jeweils am 1. Juni des angegebenen Jahres, mit Ausnahme für Ostern 1902.  J ist die Abkürzung für Jungen, M für Mädchen.

1902: 29 J + M                                       1909: 128  (87 J + 41 M)

1903: 29 J                                               1910: 140  (97 J + 43 M)

1904: 43 J                                               1911: 162  (101 J + 61 M)

1905: 52 J                                               1912: 176  (115 J + 61 M)

1906: 65 J                                               1913: 189  (122 J + 67 M)

1907: 78  (73 J + 5 M)                            1914: 235  (131 J + 104 M)

1908: 105 (76 J + 29 M)                

 

                                    Religions- und Heimatverhältnisse der Schüler: 

  Evange-lisch Katho-lisch Griech. Orthod. Bap-tisten Presby-terianer Israel. Konfes-sionslos Einhei-misch Aus-wärtig Deut-sche Aus-länder
1. Juni 1913   156   17      2              5     1             8     –   171   18   179   10
1. Juni 1914   199   21      2    5     1     6     1   222   13   224   10

 

           Der Bericht für das Schuljahr 1913/14 wurde von Prof. Tuczeck im Juli 1914 verfaßt und gedruckt. Die Seite 19 enthält die Mitteilung: „Das neue Schuljahr 1914-15 beginnt am 10. Sept. 1914, morgens um 8 Uhr für die Klassen VI bis UII; für die Vorschüler morgens 10.30 Uhr. Schriftliche Anmeldungen neuer Schüler können jederzeit erfolgen. Mündliche Anmeldungen werden den 9. Sept. vormittags von 9-11 Uhr, von dem Unterzeichneten im Amtszimmer der Schule entgegengenommen.“  Zu diesem Vorgang ist es nicht mehr gekommen, denn am 1. August begann der Weltkrieg, und wegen der bevorstehenden Belagerung durch die Japaner verließen die meisten deutschen Frauen und Kinder Tsingtau und wurden auf die Städte Tsinan, Tientsin, Peking und Shanghai verteilt. Hatte die Statistik für den 1. Juni 1914 insgesamt 235 Schüler gemeldet, so befanden sich während der Belagerung nur noch ca. 120 in der Stadt. An Unterricht war nicht zu denken, erst recht nicht nach der Besetzung durch die Japaner, die sofort das alte und neue Schulgebäude beschlagnahmten. Im Januar 1915 konnte Prof. Tuczeck mit den beiden Lehrerinnen und Hilfskräften den Unterricht für rund 70-80 Schüler wieder aufnehmen, Oberpfarrer Winter hatte das Christliche Soldatenheim zur Verfügung gestellt (siehe Foto.) Das Ziel der Japaner war es, die meisten deutschen Männer entweder in die Kriegsgefangenschaft nach Japan zu bringen oder auszuweisen. Von 1916 bis Frühjahr 1920 hielten sich dement-sprechend in Tsingtau von den Deutschen nur noch rund 350 Personen auf, 180 Kinder, 135 Frauen und 26 Männer. Da China neutral geblieben war, befand sich weiterhin in Peking die deutsche Gesandtschaft. Diese war nun für Prof. Tuczeck seine vorgesetzte Behörde, und so hat er für die Schuljahre 1914/15 und 1915/16 nach alter Gewohnheit Jahresberichte verfaßt, aller-dings nur maschinenschriftlich, und sie nach Peking geschickt. In den Akten der Deutschen Botschaft China (jetzt im Bundesarchiv Berlin) sind uns diese 2 Berichte erhalten geblieben. Der Jahresbericht 1914/15 ist, gekürzt und unter Weglassung der meisten Namen, 1917 in der Zeitschrift China-Archiv, 2. Jhg., S. 76-79 veröffentlicht worden.  Auszüge aus Prof. Tuczecks Bericht im China-Archiv sollen hier gebracht werden:

       „Mit Befriedigung kann berichtet werden, daß eine ganze Reihe unserer ehemaligen in Ostasien weilenden Schüler zur Verteidigung Tsingtaus herbeigeeilt waren – zum Teil von weither – und sich als tapfere Krieger erwiesen haben. Von ihnen starb Gerhard Voskamp den Heldentod. Andere noch nicht militärpflichtige oder zum Dienst mit der Waffe untaugliche ehemalige Schüler traten beim Landsturm ein. Von unseren jetzigen Schülern meldeten sich als Kriegsfreiwillige je zwei Ober- und Untertertianer. Während einer in der Front stand, bewährten sich zwei als unerschrockene Fahrer, einer (erst 14jährig) tat Ordonnanzdienst.

        Durch die Beschießung Tsingtaus war das Schulgebäude ziemlich mitgenommen worden. Das Dach, die Decke der Aula und die ganze Vorderfront waren stark beschädigt. Als ich am 11. November von den Japanern zur Übergabe der Schule gerufen wurde, bot diese ein Bild greu-lichster Verwüstung. Die verschlossen gewesenen Räume, wie Physik- und Instrumentenzimmer, Bibliothek und Modellraum, waren gewaltsam aufgebrochen, die meisten Lehrmittel verschwun-den, die noch übrigen Sachen und Instrumente waren zerbrochen, Karten, Bilder und Bücher zerrissen. Der Boden des Amtszimmers war mit Tinte bedeckt, in welcher Akten, Listen, Bücher usw. schwammen. Wen die Schuld an der Verwüstung trifft, muß dahingestellt bleiben. In der Schule befindliches Privateigentum, nämlich u.a. mir und anderen Lehrern gehörende Bücher, durfte nicht entfernt werden.

       Wenige Tage nach der Einnahme wurde die Schule mit japanischer Infanterie belegt, die später von Marinesoldaten abgelöst wurde. Die Schulmöbel wurden vor dem Gebäude auf-gestapelt und später abgefahren; wahrscheinlich sind sie nach Japan geschafft worden. Jetzt dürfte von den Lehrmitteln, deren Wert ich auf 40000 Mark schätze, und von der sonstigen Schuleinrichtung nichts mehr vorhanden sein. Vom April 1915 ab wurden sowohl das neue wie das alte Schulgebäude von den Japanern zu Schulzwecken verwendet.

       Es lag mir sehr am Herzen, mit den noch anwesenden Schulkindern den Unterricht so bald als möglich zu beginnen, aber die Verhandlungen mit der japanischen Behörde wegen Überlassung eines Schulgebäudes wurden in die Länge gezogen und verliefen schließlich im Sande. Auf meine schriftliche Eingabe bei der japanischen Militärbehörde, es möchte mir eine Anzahl Schulbänke überlassen werden, habe ich nie eine Antwort erhalten. Da nahm ich das Anerbieten des Oberpfarrers Winter an, der mir das Christliche Soldatenheim für Schulzwecke zur Verfügung stellte. Mit den im Gebäude vorhandenen Tischen und Stühlen sowie den vom Evangelisch-Protestantischen Missionsverein geliehenen Schulbänken usw. wurden 6 Räume notdürftig ausgestattet, und am 5. Januar 1915 konnte ich endlich mit dem Unterricht beginnen. Es wurden 6 Abteilungen gebildet: die obere Abteilung umfaßte die Klassen Untersekunda, Ober- und Untertertia, die nächste die beiden Klassen Quarta und Quinta. Sexta, erste, zweite und dritte Vorschulklasse sollte jede für sich unterrichtet werden. Diese Einteilung entsprach den zur Verfügung stehenden Räumen. An Lehrkräften waren von ursprünglichen Lehrkörpern damals noch verfügbar der Direktor, ein Lehrer und die beiden Lehrerinnen, dazu traten von der Deutsch-Chinesischen Hochschule drei Herren. Gleich zu Beginn ergab sich insofern eine Störung, als eine Lehrerin und ein Lehrer sich krank meldeten. Sie wurden durch den Direktor und freundlicherweise durch den Oberpfarrer und den Missionspfarrer Wilhelm vertreten. Während die Lehrerin am 12. Januar ihren Dienst antrat, konnte der Lehrer seine Tätigkeit überhaupt nicht beginnen, da er am 30. Januar aus Tsingtau ausgewiesen wurde.

           Am 14. Januar mußte der Unterricht ausfallen, weil an diesem Tage sämtliche in Tsingtau anwesenden deutschen Männer von der japanischen Militärverwaltung vorgeladen waren. Auch die drei Lehrer, welche während der Belagerung dem immobilen Landsturm angehört hatten, wurden mit über 100 anderen Deutschen am selben Tage in den Moltkebaracken festgesetzt und am 22. Januar als Kriegsgefangene nach Japan gebracht. Meine Bemühungen, sie für die Schule frei zu bekommen, waren erfolglos. Obgleich die vorerwähnten beiden Pfarrer sich ganz der Schule zur Verfügung stellten, mußte der Unterricht doch stark beschnitten werden. Er wurde außerordentlich erschwert durch den Umstand, daß die Lehrmittel vollständig fehlten und daß die Schüler sich kaum die notwendigen Schulbücher verschaffen konnten. Noch schwieriger gestalteten sich die Verhältnisse an der Schule, und noch mehr mußten die Stunden beschränkt werden, als die eine der Lehrerinnen ihr Amt niederlegte und Missionar Wilhelm den Unterricht aufgab, da er seine chinesische Knabenschule wieder eröffnete. Den größten Teil dieses Unter-richts übernahm in liebenswürdiger Weise eine Dame, die in Berlin neuere Philologie studiert und in Greifswald die Oberlehrerprüfung abgelegt hat (ihr Gatte ist in Kriegsgefangenschaft in Japan).

                   Nach den Osterferien übernahm die Ehefrau eines Lehrers, früher selbst Lehrerin in Deutschland, einen Teil der Stunden ihres Mannes, so daß die 3 Vorschulklassen wieder eröffnet werden konnten. Am 10. Mai mußte Oberpfarrer Winter auf Befehl der japanischen Militär-verwaltung Tsingtau verlassen. Auf meine Bitte übernahm Missionssuperintendent Voskamp der Berliner Mission dessen Unterricht, so daß keine weiteren Störungen im Schulbetrieb eintraten. 

Das Schuljahr wurde am 10. Juli 1915 mit Andacht und Ansprache geschlossen. Der japanischen Behörde habe ich mehrfach über die gegenwärtigen und früheren Schulverhältnisse mündlich und schriftlich Bericht erstatten müssen.“ 

         Im Sommer 1916 wurde sogar wieder eine Abschlußprüfung durchgeführt, die von den vier Kandidaten (2 Jungen und 2 Mädchen) bestanden wurde.

      Weitere Schulberichte für die Periode Herbst 1916 bis Frühjahr 1920 liegen handschriftlich vor (Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg, Nachlass Tuczeck).  Die ca. 5000 deutschen Kriegsgefangenen in Japan wurden erst Ende 1919 und im Frühjahr 1920 entlassen. Einige der Transportschiffe liefen auch Tsingtau an und nahmen die dort verbliebenen Frauen und Kinder mit in die Heimat. Dies bedeutete auch das (vorläufige) Ende der deutschen Schule in Tsingtau.

(Die Fortsetzung, meine „Geschichte der Deutschen Schule Tsingtau 1924-1946“, befindet sich ebenfalls in dieser Webseite.)

                                               Verwendete Quellen

11 gedruckte „Jahresberichte der Kaiserlichen Gouvernements-Schule zu Tsingtau“  1904-14.

6 Jahresberichte 1915 bis1920, von Prof. Tuczeck mit der Hand geschrieben.

(Der Verfasser dieses Berichtes, W. Matzat, hat Kopien aller 17 Jahresberichte.)

Tuczeck, Paul: „Die deutsche Schule in Tsingtau während des Krieges 1914/15.“

                    in: China-Archiv, 2. Jhg., H.2, Berlin 1917, S. 76-79

Wirtz, Hans: „Deutsche Bildungsarbeit in Tsingtau.“

                in: Schmidt,Fr. und O.Boelitz (Hrsgb.): „Aus deutscher Bildungsarbeit im Auslande.“

                Bd. 2: Außereuropa. –  Langensalza 1928, S. 273-88