Gottfried Landmann, 1860 in Lünen geboren, Uhrmacher und Optiker in Oberlahnstein, war bereits 40 Jahre alt und unverheiratet, als er 1899 oder 1900 nach Tsingtau kam und dort ein Geschäft eröffnete. Es war dies nicht sein erster Auslandsaufenthalt, u.a. hatte er auch einige Zeit in Südamerika verbracht. Das erste Adreßbuch Tsingtaus erschien im Februar 1901, mit dem Datenstand vom 15.1.1901, und führt unter den Firmen auf: „G.Landmann. Export, Import, Spezialgeschäft für Uhren und Goldwaren. Geschäftslokal: Marktstraße. Filiale z.Zeit Peking.“ Die sog. Marktstraße war nichts anderes als die alte Hauptstraße des chinesischen Dorfes Tsingtau, und die Gebäude waren die ehemaligen Häuser der Fischer und Bauern, denen man inzwischen ihre Häuser und Felder abgekauft und die man in die Dörfer weiter östlich umgesiedelt hatte. Landmanns erstes Geschäftslokal wird also so ein eingeschossiges Chinesenhaus gewesen sein. Ab 1899-1900 entstand nun westlich des Dorfes Tsingtau (das 1901-02 abgerissen wurde) die neue Europäerstadt, dort erwarb auch Landmann in der Prinz-Heinrich-Str. ein Grundstück, an der Ecke zur Albert Straße. Hier erbaute er 1901 ein Haus, das zunächst nur 2 Geschosse hatte: im Erdgeschoß befand sich der Laden, im 1. Stock die Wohnung. Darüber ein Flachdach. Nun konnte er es sich leisten, seine Verlobte, die 27jährige Maria Goldschmidt, nach Tsingtau zu holen. Er fuhr ihr nach Shanghai entgegen, am 17.12.1901 fand dort die Trauung statt in der katholischen Missionskapelle der St. Josef Institution.
Das zweite Adreßbuch, das am 18.9.1902 erschien, meldet zwei Firmen: „G.Landmann. Uhren-, Gold und Silberwarenhandlung, optische Geräte etc. Geschäftslokal: Prinz-Heinrich- Str.“ Eine Filiale in Peking wird nicht mehr erwähnt. Dann weiterhin: „Landmann & Kell. Bierbrauerei, Tientsinstraße. Inhaber: G. Landmann und Ludwig Kell, Braumeister.“
Bei den heute lebenden Enkeln von Gottfried Landmann sind außer einem ausgezeichneten Fotoalbum für die China-Periode 1900-09 keine schriftlichen Dokumente für diese Zeit mehr vorhanden. Immerhin hat das Familienalbum ein Foto des Brauhauses. Über die Geschichte dieser Brauerei ist also fast nichts bekannt.
Lediglich das wöchentlich erscheinende „Amtsblatt für das Deutsche Kiautschou-Gebiet“ erwähnt ganz nüchtern das Gründungs- und Schließungsdatum und den Standort, wo die Brauerei gebaut wurde. Die Ausgabe vom 2.2.1901 meldet: „In das bei unterzeichnetem Gericht geführte Handelsregister ist unter No. 43 eine offene Handelsgesellschaft unter der Firma ‚Landmann und Kell’ mit dem Sitze zu Tsingtau eingetragen. Ihre alleinigen Inhaber sind der Kaufmann Gottfried Landmann und der Braumeister Ludwig Kell, beide von hier. Tsingtau, den 22. Januar 1901. Das Kaiserliche Gericht von Kiautschou.“
Die im Amtsblatt erscheinenden Anzeigen über neu gegründete oder abgehende Firmen und über kommende Landversteigerungen wurden auch jeweils in der damals in Tsingtau erscheinenden Wochenzeitung „Deutsch-Asiatische Warte“ veröffentlicht. In deren Ausgabe vom 3.2.1901 ist zu lesen: „Landversteigerungen. Auf Antrag der offenen Handels-gesellschaft Landmann und Kell findet am 14. Februar die öffentliche Versteigerung von Block O, Parzelle 2 statt. Lage des Grundstücks im Industrieviertel, westlich neben dem Elektrizitätswerk. Größe: 1489 qm. Mindestpreis: 1192,20 mex. Silberdollar. Benutzungsplan: Wohnhaus mit Schanklokal, dahinter Brauerei. Frist zur Ausführung: bis zum 1. Januar 1903. Gesuche zum Mitbieten sind bis zum 7. Februar einzureichen.“
Die Angabe: „Industrieviertel“ macht deutlich, daß die Brauerei im Stadtteil Dabaodao, dem Viertel der chinesischen Geschäftsleute und Handwerker, errichtet werden sollte. Das sog. Industrieviertel bildete den westlich der Schantungstraße gelegenen Teil von Dabaodao, wo eine Gemengelage von Wohnungen und Produktionsstätten chinesischer und europäischer Firmen bestand. Die Katasterkarte (Maßstab 1:2000) vom 4.2.1902 erlaubt es, das Grundstück der Brauerei zu lokalisieren: auf der Südseite der Tientsinstraße, direkt neben dem damaligen Elektrizitätswerk, und genau gegenüber der Einmündung der Schansistraße. Die Katasterkarte zeigt nur ein Gebäude, direkt an der Straße, offensichtlich das Wohnhaus für den Braumeister Kell mit dem Ausschank. Das Brauhaus (von dem es ein Foto gibt) ist noch nicht eingetragen, es erstreckte sich senkrecht dazu, wie man auf dem Stadtplan von 1906 im „Führer durch Tsingtau“ von Behme und Krieger erkennen kann.
Nachdem also am 14. Februar das Grundstück ersteigert worden war, scheint das Wohnhaus mit Schanklokal ziemlich schnell errichtet worden zu sein, denn das „Amtsblatt für das Deutsche Kiautschou-Gebiet“ meldet am 18.5.1901: „Bekanntmachung. Die Firma Landmann und Kell hat ein Gesuch um Gewährung der Konzession zum Betriebe der Schank-wirtschaft neben den Elektrizitätswerken eingereicht.“
Die einzige weitere Nachricht, die wir z.Zt. besitzen, ist die lapidare Meldung im Amtsblatt vom 18.7.1903: „Die unter No. 43 des Handelsregisters eingetragene Firma ‚Landmann & Kell’ ist gelöscht. Tsingtau, den 7.7.1903. Das Kaiserliche Gericht von Kiautschou.“ Wir kennen also von der Firma eigentlich nur den Geburtstag (22.1.1901) und den Sterbetag (7.7.1903). Immerhin ist die Firma nicht per Konkurs eingegangen. Wir wissen nicht die Ursachen, warum der Gründung der Brauerei kein Erfolg beschieden war. Laut Familientradition soll der Braumeister Kell nicht redlich gewirtschaftet haben.
Angesichts der potentiellen Nachfrage nach Bier in Tsingtau war die Brauerei Landmann-Kell viel zu klein konzipiert. Eine größere Anlage wäre wohl wegen der finanziellen Ressourcen von Landmann und Kell nicht möglich gewesen. Auch lag sie mitten in einem dicht besiedelten Gebiet mit geringen Expansionsmöglichkeiten. Nicht ganz einen Monat später nach dem Erlöschen der Brauerei Landmann-Kell wurde am 15. August 1903 die „Anglo-German Brewery Company, Limited“ als Aktiengesellschaft gegründet, als Grundkapital waren 400 000 mexikan. Silberdollar vorgesehen, eingeteilt in 4000 Aktien zu 100 $. Man kann vermuten, daß Gottfried Landmann einige dieser Aktien erworben hat.
Das Grundstück und die Gebäude in der Tientsinstraße haben er und Kell wieder verkauft. Auf der Katasterkarte von 1912/13 ist zu ersehen, daß Yü Tschen-hsi und Sung i-shan jetzt Eigentümer des Grundstücks sind. Die neue, bedeutend größere Germania Brauerei wurde vernünftigerweise weit draußen vor der Stadt auf freiem Gelände errichtet. Das Amtsblatt, 4. Jhg. S. 212 meldet: „Die Anglo-German Brewery Company, Limited in Hongkong, Zweigniederlassung in Tsingtau, ist am 21. Dezember 1903 in das Handelsregister B eingetragen worden. Der Vorstand besteht aus 3-7 Personen. Geschäftsführer ist Kaufmann Heinrich Seifart in Tsingtau.“ (In der heutigen Terminologie würde der Satz wohl lauten: Der Aufsichtsrat besteht aus 3-7 Personen. Der Vorstandsvorsitzende ist Kaufmann Heinrich Seifart in Tsingtau.)
Das ist der derzeitige Wissensstand bezüglich der Brauerei „Landmann & Kell“ in Tsingtau. Eine stichprobenartige Durchsicht der Wochenzeitung „Deutsch-Asiatische Warte“ für die Periode 1902 bis Juli 1903 hat bis jetzt keine weiteren Informationen geliefert. Eigentümlicherweise brachte Landmann in diesem Zeitabschnitt in der DAW ständig große Anzeigen für seinen Uhr- und Optik-Laden, aber keine einzige für seine Brauerei!
Den anderen geschäftlichen Tätigkeiten Landmanns hat das „Abenteuer Brauerei“ keinen Abbruch getan. Offensichtlich war er ein Mann mit Risikobereitschaft und Phantasie. So hat er sich auch als „Verleger“ betätigt. Mehrere Firmen in Tsingtau stellten Postkarten mit Ansichten von Tsingtau her, darunter auch Landmann. Es gibt also Ansichtskarten, auf denen zu lesen ist: „Verlag G. Landmann, Tsingtau“.
Überraschenderweise entschloß sich Landmann, seine Zelte in Tsingtau abzubrechen und nach Deutschland zurückzukehren. Das Motiv ist nicht bekannt. Er schickte seine Frau und die drei in Tsingtau geborenen Söhne 1908 nach Hause und verließ Mai 1909 endgültig die Stadt, ließ sich in Oberlahnstein nieder. Dort wurden dem Paar noch 3 weitere Söhne geboren. Sein Haus in Tsingtau verkaufte er nicht, sondern vermietete es bis 1914. Die Japaner haben dann nach der Besetzung der Stadt das gesamte deutsche Grund- und Hauseigentum beschlagnahmt und verkauft.
Am 16.8.1926 ist Gottfried Landmann in Oberlahnstein gestorben. Seine Frau Marie, geboren 1874, starb 1960.