Ohlwein, Walter (1909-1973), Kaufmann, Dr. Otto Ohlwein (1906-2002) und Emilie Nauert, geb. Ohlwein (1897-1985)

Walter Ohlwein wurde am 13.7.1909 in Essen geboren als Sohn des Kaufmanns Wilhelm Ohlwein. Er hatte noch 8 Geschwister, von denen 2 im Kindesalter starben. Er wird nach vierjährigem Volksschulbesuch eine Realschule absolviert haben, mindestens bis zur mittleren Reife. Da seine Eltern 7 Kinder zu versorgen hatten, werden sie nicht allen von ihnen eine höhere Schulbildung haben bieten können. Die Eltern beschlossen deshalb, wenigstens dem ältesten Sohn, Otto, geboren 29.12.1906, eine akademische Laufbahn zu ermöglichen. Er durfte die Humboldt-Oberrealschule in Essen besuchen und schloss 1926 den neunjährigen Aufenthalt dort mit dem Abitur ab. Nach einer zweieinhalb-jährigen Lehrzeit in einem Hamburger Überseehaus studierte er in Hamburg und Köln Volkswirtschaft und bestand 1929 in Hamburg das Diplomvolkswirt-Examen. 1927-28 war er Studentenwelt-meister im Rückenschwimmen gewesen. Im Dezember 1930 promovierte er im Fach Volkswirtschaft mit der Dissertation: „Der Handel in Gewürzen und getrockneten Früchten an der Hamburger Warenbörse“.

Ottos neun Jahre ältere Schwester, Emilie (genannt Lisbeth), hatte seinen Plan zu studieren begrüßt und war bereit, sein Studium auch finanziell zu unterstützen. Sie suchte deshalb nach einer relativ gut bezahlten Beschäftigung, da kam ihr um 1923 herum ein Angebot aus Tsingtau zur Hilfe.  Die Essener Familie Ohlwein hatte einen Verwandten namens August Boerter, der um 1905 nach Tsingtau gegangen war als Angestellter der deutschen Reichspost. Um 1910 herum wurde er an die deutsche Post in Tsinanfu versetzt. Dort heiratete er unerlaubterweise und wurde deshalb aus dem Postdienst entlassen. Er blieb aber in Tsinan und widmete sich kaufmännischen Tätigkeiten, konnte 1919 der Zwangs-repatriierung entgehen und erhielt Anfang der 1920iger Jahre von einem amerikanischen Warenhauskonzern den Auftrag, aus chinesischem Kopfhaar Haarnetze herstellen zu lassen, weil bekannt war, dass das chinesische Haar fester war als das europäische. Die damalige Haarmode der amerikanischen und europäischen Frauen benötigte dieses Produkt. Diese Haarnetze wurden von den chinesischen Frauen zuhause geknüpft und bei Sammelstellen der Boerter Firma abgeliefert, nach den Prinzipien des sog. Verlagssystems. Boerter erzielte für sich hohe Gewinne und musste wegen der vielen Arbeit eine Sekretärin anstellen. Da entsann er sich der Ohlwein Verwandten in Essen und bot der Emilie diesen Posten an. Das vor-geschlagene Gehalt war offensichtlich lukrativ und so begab sich Emilie 1924 per Schiff nach China. In Shanghai angekommen lag dort ein Telegramm vor, die Boerter Firma habe Konkurs angemeldet, Emilie solle nicht nach Tsingtau kommen. Diese ging daraufhin zum deutschen Generalkonsulat, um sich beraten zu lassen, ob irgendwie oder irgendwo eine Sekretärin benötigt werde. Es lag eine Nachfrage aus Hankou vor, und so fuhr sie per Schiff den Jangtse hinauf nach Hankou und wurde Sekretärin bei der Firma Garrels, Börner & Co., deren Inhaber Johannes Rohde und H.Hake waren. Unter den dortigen unverheirateten Jungkaufleuten war Fritz Nauert am „schnellsten“, bereits am 25.1.1925 fand die (nur standesamtliche) Hochzeit mit Emilie Ohlwein statt, obwohl sie 3 Jahre älter war. Fritz, 24 Jahre alt, stammte aus Hamburg, Sohn des Küfers Otto Nauert. Fritz vertrat die Firma Arnold & Co. in Hankou. Man kann davon ausgehen, dass Emilie einen Teil ihres Einkommens in Hankou, als Angestellte der Firma Börner & Co., nach Essen sandte zur Mitfinanzierung des Studiums ihres Bruders Otto. Um 1928 herum hatte die Boerter Firma in Tsinan und Tsingtau sich wieder hochgerappelt und konnte bereits weitere Mitarbeiter gebrauchen. August Boerter signalisierte dies seiner Cousine, und so zogen Fritz und Emilie Nauert nach Tsingtau als Angestellte in Boerters Firma, die als Export- und Import-Firma tätig war. Auch Walter Ohlwein wurde eingeladen, und so kam dieser 1929, nun 20 Jahre alt, ebenfalls dorthin. Schließlich traf 1931 auch noch Dr. Otto Ohlwein in Tsingtau ein, so dass 1931 drei Ohlweins in dieser Stadt versammelt waren.

Otto Ohlwein blieb allerdings nur einige Monate und zog am 1. Oktober weiter nach Tientsin, wo er nur eine kurze Anstellung bei der Firma Wostwag fand und dann arbeitslos war. Otto war überzeugter Nationalsozialist und wurde der Gründer und erste Leiter der dortigen Ortsgruppe der NSDAP. Diese trat (vor allem nach dem 30.01.1933) so aggressiv auf, dass es zu erheblichen Spannungen innerhalb der deutschen Gemeinde Tientsins kam. Allgemein war man deshalb froh, dass Ohlwein im Dezember 1933 nach Deutschland zurückkehrte. Generalkonsul Heinrich Betz schilderte in einem Schreiben vom 1. Dez. 1933 an das Auswärtige Amt das bisherige Auftreten Ohlweins. Betz „führte aus, dass sich dadurch die bis dahin weitgehend spannungsfreie Atmosphäre beträchtlich auflud und einen Keil zwischen die hiesige deutsche Gemeinde trieb, was durch die ‚intrigante Natur’ des Herrn Ohlwein noch massiv verstärkt wurde. Dieser habe Denunziationen und Streit offenbar zu seinem Hobby auserkoren“ (zitiert nach Schmitt-Englert,2012, S. 352). Umso enttäuschter müssen die Tientsiner gewesen sein, als Ohlwein Anfang 1934 doch zurückkam und wieder den Posten des Ortsgruppenleiters übernahm. Er heiratete Paula Kirn, die Tochter von Eduard Kirn, dem Mitinhaber der Peiyang Press A.G. Bei dieser wurde u.a. die Tageszeitung „Deutsch-Chinesische Nachrichten“ gedruckt. Gemäß der am 14.12.1934 vor dem Dt. Generalkonsulat mit Herrn W. Bartels geschlossenen Vereinbarung gingen die „Deutsch-Chinesischen Nachrichten“ mit Aktiven und Passiven an die Peiyang Press A.G. über, und diese übertrug noch an demselben Tag die Zeitung an die Deutsche Zeitungsgesellschaft A.G. Als Leiter der Tageszeitung wurde ab 15.12.1934 der Schwiegersohn von Eduard Kirn, nämlich Dr. Otto Ohlwein beauftragt. Damit hatte die Partei komplette Kontrolle über die Edition der Tageszeitung, die am 01.10.1930 gegründet worden war mit dem Untertitel: „Parteilose Tageszeitung“ und dem Motto: „Ohne Rücksicht auf Parteien, treu der alten Heimat und der neuen.“ In der deutschen Gemeinde blieb auch 1935 die Rolle der Partei weiterhin umstritten Einen besonderen Konflikt hatte Ohlwein mit Pfarrer Puffert. Dieser veröffentlichte regelmäßig in der Tageszeitung Kontemplationen gemäß der christlichen Lehre, was den Atheisten Ohlwein furchtbar ärgerte. Er erlaubte sich, die Texte von Puffert zu korrigieren, Sätze zu streichen etc., was automatisch zu Protesten Pufferts führen musste. Dieser entschloss sich schließlich, eine eigene Zeitschrift zu gründen und zu verteilen, mit dem Namen: „Sonntagsgedanken“. Da Ohlwein weiterhin mit seinen ideologischen Agitationen Unfrieden in der deutschen Gemeinde stiftete, kam Lahrmann, der Landes-gruppenleiter der Partei für China, aus Shanghai, um die Situation zu begutachten.

Er erkannte sicherlich, dass Ohlwein der Hauptstörfaktor war, und so wird Lahrmann mit dazu beigetragen haben, dass Otto Ohlwein im Oktober 1935 endgültig Tientsin verließ und nach Deutschland zurückkehrte. Nachfolger von Ohlwein als Tientsiner NS-Ortsgruppen-leiter wurde, zunächst kommissarisch, der Kaufmann Albert F. Wetzel, in der Funktion des Geschäftsführers und Hauptbuchhalters der Tageszeitung: „Deutsch-Chinesische Nachrichten“ (von Oktober 1935 bis Mai 1945).

Von welcher wirtschaftlichen Tätigkeit in Tsingtau hat Walter Ohlwein von 1929 bis 1945 gelebt? Die Angaben in den diversen Tsingtauer Adressbüchern sind nicht immer eindeutig. Auf jeden Fall war er von seinem Vetter August Börter nach China eingeladen worden, in der Export-Import Firma „A.Börter & Co.“ mitzuwirken. Das Stammhaus dieser Firma befand sich in Tsinan, aber in Tsingtau gab es eine Filiale, Guangxi Road 36. Im Jahre 1932 waren dort als Angestellte tätig: Börters Vetter Walter Ohlwein und dessen Schwager F. Nauert, sowie J. Müller und Börters Tochter Gertie. Genau in dem Jahr 1932 erlitt die Börter Firma, wie schon 1924, eine totale Pleite und erlosch endgültig. Zu der Zeit gab es in Tsingtau eine Firma mit dem Namen: The Tsingtao Carpet Factory. Inhaber war ein Wilhelm Meyer, der aber 1932 offensichtlich nicht in Tsingtau anwesend war und August Börter als Vertreter gewonnen hatte. Diese Fabrik wurde offensichtlich zum Rettungsanker für Börter und Ohlwein. Für November 1935 meldet das Adressbuch: „The Tsingtao Carpet Factory (Walter Ohlwein), 33 Guangxi Road. Technisches Geschäft, Teppich Fabrik, Allgemeiner Import.“ Inhaber sind: W. Ohlwein und A. Börter! Im Laufe der Jahre kam es immer stärker zu Kontroversen zwischen den beiden, so dass Ohlwein 1938 ausschied und eine eigene Firma gründete, eine Textilfärberei (Tsingtao Dyeing Works). Diese Firma hat er bis 1945 betrieben.

Walter Ohlwein war wie sein Bruder Otto ein überzeugter Nationalsozialist. Einer der Kaufleute in Tsingtau, Helmuth Brembach, war bereits Mitglied in der NSDAP, er hatte die niedrige Mitgliedsnummer 344966. Walter trat am 1.7.1932 in die NSDAP ein, er erhielt die Mitgliedsnummer 1274756. Nach der Machtübernahme durch Hitler am 30.1.1933 wurde Brembach der Leiter des NS-Stützpunktes in Tsingtau. Er ging aber 1934 nach Deutschland zurück, so dass Walter Ohlwein nun die Leitung übernahm. Die Mitgliedszahl nahm nach Januar 1933 schnell zu, so dass nun eine sog. NS-Ortsgruppe gebildet werden konnte, dessen Leiter Ohlwein bis Mai 1945 blieb. Im Sommer 1936 war er, auf Kosten der Partei, für ca. 6 Monate in Deutschland, um auf einer Parteischule in der NS-Ideologie geschult zu werden.

Am 8.3.1933 heiratete Walter Ohlwein die 5 Jahre ältere Elsa Fryd, (* 23.4.1904), Tochter des Dr.med. Carlos Fryd, Zahnarzt in Hamburg. Es fand sogar eine kirchliche Trauung statt, im Haus des August Boerter, vollzogen durch den Missionar und Pastor Dr.phil. Seufert. Aus der Ehe gingen 5 Kinder hervor, 3 Söhne und 2 Töchter, alle in Tsingtau geboren. Der Junggeselle Walter hatte zunächst bei seiner Schwester, Frau Nauert, gewohnt, in der Kinkow Road. Nach der Heirat bezog er das Haus 12 Jing Shan Road, die zur deutschen Zeit den Namen „Bergstraße“ hatte, an der auch der europäische Friedhof lag. Um 1941 kaufte Ohlwein in dem schönen Wohnviertel namens Badaguan, am German Beach, das Grundstück 9 Shanhaiguan Road und baute sich ein großes Wohnhaus. Der Architekturentwurf stammte von dem russischen Architekten Yourieff.

Als am 1. Mai 1945 die Nachricht von Hitlers Tod eingetroffen war, veranstaltete Ohlwein im Deutschen Heim am 4. Mai eine Trauerfeier. Er hielt, in SA-Uniform, die Trauerrede. Der deutsche Konsul, Dr. Hans von Saucken, ein Intimfeind Ohlweins, hatte sich geweigert, bei der Veranstaltung mitzuwirken. Als er nach der Feier das Deutsche Heim verließ, wurde er von 3 Männern in SA-Uniform tätlich angegriffen und beleidigt.

Nachdem auch die Japaner besiegt worden waren, übernahm im September 1945 die Guomindang wieder die Herrschaft in Tsingtau, unterstützt durch die Amerikaner, die dort im Oktober die 6. Division der US Marines landen ließ. Für deren höhere Offiziere wurden Häuser und Wohnungen der Deutschen, die Mitglieder in der NSDAP gewesen waren, beschlagnahmt. Die Familien mussten in kürzester Frist ihr Quartier räumen und bei Freunden unterkommen. Zusätzlich wurden viele deutsche Männer, eingestuft als „Nazis“, von den Amerikanern im Polizeigebäude inhaftiert, manche Wochen lang, Ohlwein wurde als letzter nach Monaten entlassen.

Nach dem Ende des Krieges im August 1945 wurden die in Tsingtau wohnenden Japaner in ihr Heimatland repatriiert und auch den Deutschen dort war dieses Schicksal beschieden. Besonders die Amerikaner waren daran interessiert, bei der nun kommenden wirtschaftlichen Entwicklung Chinas keine deutschen Konkurrenten dort zu haben, und so betrieben sie ab 1946 eifrig die Repatriierung der China-Deutschen, unterstützt durch das Argument, dass die meisten Deutschen ja „Nazis“ gewesen seien. Sie stellten das Transportschiff „Marine Robin“ zur Verfügung und am 25.6.1946 traf das Schiff in Tsingtau ein, gegen 18 Uhr, und am 26.6. früh um 5.30 Uhr, bei dichtem Nebel, ging das Schiff weiter nach Shanghai. Zum großen Erstaunen der 133 an Bord gegangenen Tsingtau-Deutschen stellten diese fest, dass der „Chef-Nazi“ Ohlwein und seine Familie nicht mitgekommen war! Auch die Amerikaner in Tsingtau waren offensichtlich überrascht und wütend. In der englisch-sprachigen Tageszeitung erschien auf der Titelseite die Schlagzeile: „Nazileader Ohlwein not repatriated“. Was war passiert? Ohlwein war es gelungen, den chinesischen Behörden weiszumachen, dass eines seiner Kinder Scharlach habe. Es bestünde deshalb Gefahr, dass viele Kinder auf dem Transportschiff angesteckt würden. Die Amerikaner waren nicht bereit, dieses Argument anzuerkennen und steckten die Ohlwein-Familie in ein Flugzeug und brachten diese nach Shanghai, wo sie dann doch noch auf die „Marine Robin“ kam. Insgesamt befanden sich auf diesem Schiff 1123 Chinadeutsche, es traf am 4.8. in Bremerhaven ein. Per Güterzug wurden diese nach Ludwigsburg gebracht, wo die Männer in das ehemalige Zuchthaus Hohenasperg (Camp 76), die Frauen und Kinder in das Lager 77 kamen.

Von den in Hohenasperg internierten Männern wurden die meisten im Laufe der nächsten Wochen und Monate entlassen. Wer Mitglied in der NSDAP gewesen war, musste sich anschließend einem Spruchkammerverfahren stellen. Im Mai 1947 waren nur noch wenige Chinadeutsche in Hohenasperg in Haft, darunter auch Walter Ohlwein. Immerhin war er also fast 2 Jahre in Gefängnishaft, inclusive der Inhaftierung in Tsingtau von Oktober 1945 bis Frühjahr 1946. Die Spruchkammer in Ludwigsburg verkündete am 17.09.1947 ihr Urteil: Ohlwein wurde in die Klasse II als „Minderbelasteter“ eingestuft und sollte 90 Tage Sonderarbeit für die Allgemeinheit leisten. Außerdem musste er RM 500.- für die Wiedergutmachung zahlen und es wurde eine Bewährungsfrist von 2 Jahren festgelegt. Die ehemaligen NS-Gruppenleiter in Hohenasperg hatten sich untereinander abgesprochen, wie sie vor der Spruchkammer argumentieren sollten, nämlich die NSDAP in China im Sinne einer harmlosen landsmannschaftlichen Vereinigung zu interpretieren, es habe doch die machtpolitische Verankerung gefehlt! Nach Ablauf der Bewährungsfrist am 22.10.1949 wurde Ohlwein als „Mitläufer“ eingestuft, er musste eine Gebühr von DM 30.- zahlen.

Frau Ohlwein und die Kinder lebten nach der Entlassung aus dem Ludwigsburger Inter-nierungslager (Ende 1946 oder Anfang 1947 ?) in einem kleinen Schlösschen in Hopferau im Allgäu. Dorthin kam dann im Herbst 1947 auch Walter Ohlwein. Er startete eine Holz-handlung, deren Geschäfte offensichtlich gut liefen, so dass er im nahen Eisenberg-Pröbsten ein Grundstück kaufte und ein geräumiges Haus dort errichtete. In der Ehe lief es nicht so gut und es kam zu einer Scheidung. Walter Ohlwein ist 1973 bei einer Autofahrt, zusammen mit seiner Freundin, tödlich verunglückt. – Frau Elsa Ohlwein ist März 1978 in München gestorben.

Ende