Eine Skizze der Entwicklung von Tsingtau

Von Wilhelm Matzat, Juli 2016

Tsingtau

Die städtebauliche und wirtschaftliche Entwicklung der Stadt Tsingtau soll hier kurz skizziert werden. Sie korrespondiert mit den Perioden unterschiedlicher Herrschaft in den letzten 100 Jah­ren:

1) 1897-1914 Deutsche Besetzung und Stadtgründung
2) 1914-1922 Erste japanische Besetzung
3) 1922-1929 Warlord-Periode
4) 1929-1937 Erste Guomindang-Periode
5) 1938-1945 Zweite japanische Besetzung
6) 1945-1949 Zweite Guomindang-Periode
7) seit 1949 Kommunistische Periode

1) 1897-1914 Deutsche Besetzung und Stadtgründung

Die Besetzung der Halbinsel von Tsingtau durch die Deutschen geschah am 14. Nov. 1897. Ander­erseits dauerte die Besetzung nur 17 Jahre und so konnte nie ein „Gewinn“ aus den Investitionen geerntet werden. Durch die ca. zwei Hundert Millionen Goldma­rk, die die Deutschen bei der Anlage der neuen Stadt, des Hafens, der Eisenbahn nach Jinan etc. verbauten, haben sie de facto ein „Entwicklungsgeschenk“ gemacht, wenn auch von den Chine­sen gar nicht darum gebeten. Durch den Vertrag vom 6. März 1898 konnte Deutschland ein Gebiet von rund 550 qkm für 99 Jahre „pachten“. In dem Pachtgebiet gab es rund 300 Dörfer und es wohnten dort ca. 80 000 Chinesen. Der westliche Zipfel der Halbinsel war für die Anlage der neuen Stadt und des Hafens vorgesehen, hier wurden rund 20 qkm Boden vom deutschen Gouvernement den Bauern abgekauft, neun ländliche Siedlungen mußten weichen. Dazu gehörte auch das Fischerdorf Tsingtau, sein Name wurde auf die neue Stadt über­tragen. Diese wurde am 2.9.1898 zum Freihafen erklärt, und nach Erstellung eines Bebauungsplanes konnte seitens der Ver­waltung mit dem Verkauf von Grundstücken an europäische und chinesi­sche Personen begonnen werden. Um eine eventuelle Bo­denspekulation zu verhindern, hatte der amtierende Zi­vilkommissar Schrameier eine besondere Land- und Steuerordnung verfaßt, die insofern neuartig war, als hier zum ersten Male in der Welt eine Besteuerung des zukünfti­gen unverdienten Bodenwert­zuwachses eingeführt wurde.

Die städtebauliche Konzeption aus den Jahre 1898/99 war quasi eine Vorwegnahme des Modells der „Regionalstadt“, wie sie später der Stadtplaner HILLEBRECHT für Hannover entwickelt hat. An der Tsingtau-Bucht wurde die Europäer-Stadt angesiedelt, mit einem „Villenviertel“ wei­ter im Osten an der Huiquan-­Bucht. An die Europäer-Stadt schloß sich im Norden das chinesi­sche Geschäftsviertel (Dabaodao) an, und einige km entfernt im Westen sowie im Osten wurde je ein Arbeiterviertel angelegt (Taixizhen u. Taidongzhen). Nördlich von Dabaodao lag eine breite Ravine, in der zwei Ziegeleien sich niedergelassen hatten, und daran schloß sich nördlich des Geländes des Großen Hafens an. Als hier 1904 der Hafenbetrieb aufgenommen wurde, entstand als 6. Quartier das Hafenviertel, in dem immer mehr deutsche und chinesische Firmen ihre Ge­schäfts- und Lagerhäu­ser errichteten.

Ein wichtiger Meilenstein war die Eröffnung der ersten Mole des Großen Hafens und die Fertigstellung der Bahnstrecke Tsingtau-Jinan, beides im Jahre 1904. Die Entwicklung Tsingtaus von 1898 bis 1914 ist ausführlich in den jährlich von der Verwal­tung herausgegebenen Denkschriften festgehalten worden. 

Mit Hafen und Eisenbahn waren wichtige infrastrukturelle Vor­aussetzungen geschaffen worden, Tsingtau zu einem Handelsplatz und Badeort auszubauen. Erst allmählich tauchte der Gedanke auf, diesen Standort auch für größere industrielle Anlagen vorzusehen. Die weitgediehenen Pläne, hier zwei Hochöfen zu errichten, wurden durch den 1. Weltkrieg vereitelt. Immerhin gab es am Ende der deutschen Besatzungszeit die staatlich betriebene große Werft, die über ein 16000 t Schwimmdock verfügte, eine Eisenbahnreparaturwerkstatt, zwei Ringofenzie­geleien, eine Kalksandsteinfabrik, zwei Eiproduktenfabriken, eine Strohbortenbleicherei und Strohhutfa­brik, eine Seiden­spinnerei, ein Sägewerk, eine Seifenfabrik, eine Faßfabrik für autogen ge­schweißte Fässer, mehrere Mehlmühlen, Druckereien, Mineralwasserfabriken, zwei Brauereien usw.

 Am Ende der deutschen Zeit, im Jahre 1913, wohnten im Tsingtauer Stadtbezirk 58011 Personen. Diese Bevölkerung setzte sich zusammen aus 53312 Chinesen, 2069 Europäern und Amerikanern, 2400 Soldaten der Garnison, 205 Japanern, 25 anderen Asiaten. Im agrarisch be­sti­mmten Landbezirk des Pachtgebietes lebten rund 100000 Chinesen in 275 Dörfern.

2) 1914-1922 Erste japanische Besetzung

Nach dem Ausbruch des 1. Weltkrieges erklärte Japan Deutschland den Krieg, belagerte und eroberte die Stadt am 7. November 1914. Bei der Verteidigung Tsingtaus wirkten 183 Offi­ziere und 4881 deutsche und österreichische Männer mit. Die Verluste betrugen rund 200 Tote und 500 Verwundete. Fast alle Verteidiger kamen für 5 Jahre und mehr nach Japan in die Gefan­genschaft. An Deutschen blieben bis 1920 in Tsingtau zurück rund 300 Frauen und Kinder und ein paar Dutzend ältere Männer.- Auch die Japaner hatten die Vorstellung, sie würden sehr lange in Tsingtau bleiben, und so strömten viele japanische Kaufleute und Gewerbetreibende aller Art hierher. Die zwei erwähnten Ziegeleien wurden beseitigt, das Gelände wurde planiert und über­baut, und so entstand ab 1915 zwischen Dabadao und dem Hafenviertel eine ausgesprochene Ja­panerstadt. Hatten 1913 erst 205 Japaner in Tsingtau gelebt, so waren es 1920 schon 17597. Die zweigeschossige Reihenhausbauweise mit Ziegelsteinen unterschied sich zwar kaum von der in den Chinesen Vierteln, doch erkennt man noch heute die ehemaligen japanischen Wohnhäuser an ganz bestimmten Stilelementen. Die Japa­ner hatten wie die Deutschen den Ehrgeiz, Tsingtau als Muster­kolonie aufzubauen, und so scheuten sie keine Ausgaben, um repräsentative Bank-, Handels-, Schul- und Verwaltungsgebäude hinzustellen, die den Vergleich mit den von deutscher Seite geschaffenen Anlagen aushalten konnten. Außerdem entstanden neue Fabriken größeren Stils: Sechs Baumwollspinnereien, Streichholzfabriken, Ölpressen, Knochenmühlen, japani­sche Schuh-(Getas)fabriken, sowie die große Zigarettenfabrik einer englisch-amerikanischen Firma.

Durch den Zustrom von Japanern und Chinesen und die nur zwei­geschossige, flächenfressende Bauweise entstanden so von 1915-1922 in erstaunlich kurzer Zeit neue, große Stadtteile: vor allem das ausgedehnte Industrie- und Wohnviertel zwischen dem Hafen und Taidongzhen, und die schon erwähnte Japanerstadt, während das Gelände westlich des Hauptbahnhofes bis nach Tai­xizhen von Chinesen besiedelt wurde. Anfang der 20er Jahre war also aus der baulich noch getrennten Mehrkernanlage der deut­schen Zeit eine zusammenhängende Flächenstadt geworden, aller­dings in Form eines liegenden V, denn zwischen Hafen- und Industrieviertel im Norden und der „Gartenstadt“ im Süden am Meer schob sich die von den Deutschen angelegte Grünzone vom Gouvernements- und Observatoriumshügel, Signalberg (Xinhaoshan), Bismarckberg (Qingdao shan), Forstgar­ten (heute Zhong shan Park) bis zu den Iltisbergen (Taiping shan).

Um eventuell nach dem 1. Weltkrieg Tsingtau zurückerhalten zu können, erklärte China im Jahre 1917 dem Deutschen Reich vorsorglich den Krieg. Bei den Versailler Friedensverhandlungen zeichnete sich ab, daß die Stadt in der Hand der Japaner bleiben würde, und so kam es am 4. Mai 1919 in Peking zu einer Protestdemonstration der Studenten. Diese hat der neuen Welle nationaler Empörung und Sammlung den Namen gegeben: „Die 4. Mai-Bewegung“. Die Re­publik China unterzeichnete daraufhin nicht den Versailler Vertrag und Tsingtau blieb, unter dem Etikett: „die Shandong-Frage“, ein Problemfall der internatio­nalen Politik. Auf Drängen der Vereinigten Staaten setzten sich schließlich die Japaner und Chinesen in der Washingtoner Kon­ferenz (12.11.1921 bis 6.2.1922) zusammen, und Japan er­klärte sich bereit, Tsingtau und die Shandong-Eisenbahn an China zurückzugeben, was am 10. Dezember 1922 erfolgte. Mehrere Tausend Japaner verließen daraufhin die Stadt, doch wohnten 1926 immer noch 13344 von ih­nen hier.

3) 1922-1929 Warlord-Periode

Die Warlord Periode von 1922-29 war in wesentlichen eine Zeit der wirtschaftlichen und städtebaulichen Stagnation, da die neue chinesische Verwaltung und die Provinzregierung in Jinan aufgrund der bürgerkriegsähnlichen Zustände gar keine Mittel zu Investitionen hatte, sondern im Gegenteil die Stadt als eine Pfründe betrachtete, aus der durch Anziehen der Steuerschraube so viel Geld wie nur möglich herauszupressen sei. Im Jahre 1924 wurde wieder eine deutsche Schule und Ende 1926 ein deutsches Konsulat in Tsingtau eingerichtet, das bis 1945 bestand. In den 1920er Jahren gab es rund 250 Deutsche in der Stadt.

4) 1929-1937 Erste Guomindang-Periode

Als die Guomindang-Truppen auf ihrem Nordfeldzug 1928 Jinan erreichten, traten ih­nen die Japaner ent­gegen, die mehrere Regimenter in Tsingtau gelandet und per Bahn dorthin ge­bracht hatten. Es kam zum „Jinan-Zwischenfall“. So konnte die Guomindang Tsingtau nicht vor 1929 besetzen. Der neue Bürgermeister, Admiral Shen Hung-lieh (1931-37), hatte den Ehrgeiz zu zeigen, daß nicht nur die Deutschen und Japaner, sondern auch die Chinesen die Stadt voran­bringen konnten. Da es in der Provinzhauptstadt die von amerikanischen und britischen Missiona­ren gegründete Qilu-Universität gab, wurde nun in Tsingtau die Shandong Universität gegründet. Eine ihrer Studentinnen sollte später Weltbe­kanntheit erlangen: Jiang Qing, die Frau Mao Ze­dongs und Mitglied der „Viererbande“. Vor allem wollte Shen an der Schauseite, der Ufer­promenade am Gelben Meer, dort wo Tsingtau besonders „deutsch“ aussieht, auch städtebauliche Akzente im chinesischen Architekturstil setzen. So erhielt die Landungsbrücke an der Spitze ei­nen Pavillon, an der Laiyang-Straße wurde 1932 das Aquarium mit Pailou (Torbogen) gebaut, auf dem Klara-Berg (Xiaoyüshan) eine buddhistische Lesehalle, in Zhanshan ein buddhistischer Tempel mit Pagode, an der Universitätsstraße die große Anlage der Roten Swastika Sekte, auch die 5 Religionen Sekte genannt (war lange Zeit Tsingtau Museum und Stadtbibliothek), alles in chinesi­scher Bauweise. Auch neue Indu-striebetriebe ließen sich nieder, ein Eisenwerk, Lederindustrie usw. In einigen Industriesektoren dominierten weiterhin die Jaypaner. Sie hatten den Plan, Tsingtau über Shanghai hinaus zum ersten Textilzentrum Chinas zu entwickeln. 1936 liefen in den japanischen Baumwollfabriken 520000 Spindeln, in der chinesischen Fabrik nur 48000 Spindeln. Die positive Entwicklung brach ab, als Japan 1937 den Krieg mit China begann. Innerhalb von wenigen Tagen verließen rund 15000 Japaner die Stadt, ihre Wohnungen und Geschäfte wurden später z.T. geplündert, die japanischen Baumwollfabriken bei Sifang und Cangkou ange­zündet. Trotz aller möglichen Verteidi­gungsmaßnahmen, bei denen wertvolle Baumbestände im Foushan und Laoshan sinnlos abgeholzt wurden, fiel kein Schuß, als die Japaner Anfang 1938 Tsingtau besetzten; die chinesischen Solda­ten hatten schon tagelang vorher die Stadt verlassen.

5) 1938-1945 Zweite japanische Besetzung

Mit den Truppen kehrten 1938 auch viele japanische Zivilisten nach Tsingtau zu­rück, und die zerstörten Fabriken wurden wieder aufgebaut. Umgekehrt strömten nun zahlrei­che Chinesen in die nicht besetzten Gebiete. Im Jahre 1945 lebten rund 400 Deutsche in Tsingtau, und in der gesamten Provinz Shandong wirkten, auf den verschiedenen Missionsstationen, rund 400 katholische Patres und Nonnen deutscher Staatsangehörigkeit.

6) 1945-1949 Zweite Guomindang-Periode

Nach Kriegsende lan­deten Streitkräfte der Guomindang und die 6. U.S. Division der Marineinfanterie in Tsingtau und repa­triierten die japanischen Soldaten und Zivilisten. Das Hinterland und große Teile Shandongs waren aber bereits von den Kommunisten be­setzt, sie unterbrachen auch die Bahnlinie nach Jinan. Die japanische Besatzungszeit und der anschließende Bürgerkrieg konnte infolgedessen keinen positiven Entwicklungsschub be­wirken. Tsingtau selbst konnte nur relativ spät von den Kom­munisten besetzt werden, da es Stützpunkt der U.S. Kriegsma­rine war und die letzten amerikanischen Schiffe erst am 24.5.1949 die Hafenstadt verließen. Zur Zeit des Einmarsches der Kommunisten am 2.6.1949 schätze ich die Zahl der Deutschen auf rund 70 Personen (einschließlich 11 Pa­tres der Steyler Mission, die von 1951-53 im Gefängnis saßen).

7) seit 1949 Kommunistische Periode

Schließt man die verheerende Taiping-Rebellion (1850-1864) mit ein und den Koreakrieg (1950-52), so kann man von einer hundertjährigen Periode der Kriege, Bürgerkriege und des Banditenunwesens sprechen, die erst durch die kommunistische Machtübernahme auf dem Festlande beendet wurde und nach Beseitigung der vermeintlichen Klassenfeinde endlich eine Befriedung (vom Typ: Fried­hofsruhe) brachte – immerhin eine Grundlage für Rekonstruktion und wirtschaftliche Entwicklung.

Ein vor­rangiges Ziel des „Aufbaus des Sozialismus“ war das Hoch­bringen der Industrie, und als ihr Standort kamen vor allem die Städte, damit auch Tsingtau, in Frage. 1958 war das Jahr der Bil­dung der Volkskommunen, deren städtische Variante sich nicht bewährte. Spätestens seit jener Zeit bildete sich die charakteristische, administrative Zweiteilung der großen Städ­te heraus, die Unterscheidung von städtischem Bezirk i.e.S. und den Außenbezirken, meist landwirtschaftlich geprägten Gemeinden, die dem administrativen Stadtgebiet zugeschlagen wurden. Eine wesentli­che Aufgabe der Volkskommunen in dieser Außenzone war die Versorgung der Stadtbevölkerung mit Nahrungsmitteln. Die­ser Prozeß der ständigen Eingemeindungen hat sich im Falle von Tsing­tau bis 1984 fortgesetzt. Zum engeren Stadtgebiet gehört heute nicht nur die Stadt und Industriezone am östlichen Ufer der Jiaozhou-Bucht, sondern auch ein Areal auf der Westseite der Bucht, der Bezirk Huangdao. Die Außen­zone umfasste schon immer den Laoshan Distrikt, aber 1977 kamen noch die Landkreise Jimo, Jiaozhou und Jiaonan hinzu, sowie 1984 Laixi und Pingdu. Tsingtau, dessen Kern am Gelben Meer liegt, reicht jetzt mit seinem Stadtgebiet fast bis zur Nord­küste und zerschneidet damit, administrativ, die Halbinsel Shandong in einen westlichen und östlichen Flügel. Groß-Tsingtau hat jetzt eine Fläche von 10654 qkm und dürfte jetzt mehr als 7,3 Mill. Einwohner haben, von denen rund 2,6 Mill. im eigentlichen „städtischen Bezirk“ (1102 qkm) wohnen. Auffallend ist die hohe Zahl der Südkoreaner, rund 30000 residieren hier.

Interessant ist, daß Tsingtau in offiziellen Dokumenten des Jahres 1985 als eine Stadt der „Leicht- und Textilindustrie“ bezeichnet wurde. Tatsächlich hat aufgrund der gezielten Entwicklungspolitik nach 1949 die Anzahl und Diversifikation der Industriebetriebe imposant zuge­nommen. Aus deutscher Zeit stammt noch die Mineralwasserfabrik, Weinkellerei, Bierbrauerei, und aus der damaligen Eisenbahnreparaturwerkstatt in Sifang ist eine bedeutende Wagon- und Diesellokomotivfabrik hervorgegangen. Die umfangreiche Textilproduktion geht auf die japani­schen Gründungen zurück u. umfasst heute nicht nur Baum­wollspinnereien, -webereien, -wirke­reien, sondern auch Seiden­wirkereien und -stickereien, Teppichknüpfereien und Bekleid­ungsin­dustrie (z.B. Sportbekleidung). Die Gummiindustrie (z.B. Kraftfahrzeugreifen, Schuhe, Dichtun­gen, Schläuche etc.) steht an 3. Stelle in China und die sog. Elektronikindustrie entwickelte sich rasch (Firmen Haier und Hasense). Die Industrieun­ternehmen produzieren u.a.: Fahrräder, Elektromo­toren, Schmie­de- und Gießereimaschinen, Eisen- und Stahlwaren, Chemiewaren, Lacke und Farb­stoffe, Büromöbel und Spanplatten, Radios, Fern­sehröhren, Farbfernseher, Eisschränke, Zähler, Uhren, Kas­settenrecorder, Computer usw. Nicht unbedeutend ist auch die Automobil- und die Werftindustrie.

Eine entscheidende neue Entwicklungsphase wurde 1984 einge­leitet, als 14 Küstenplätze für ausländische Investitoren „geöffnet“ wurden, darunter auch Tsingtau und Yantai (Chefoo). Auf der Insel Huangdao, die bereits durch einen Damm mit dem Festland verbunden ist, steht schon seit längerer Zeit ein Kraftwerk und sind Kais für Öltanker vorhanden. Hier auf dieser Insel und in der Uferzone wurde die neue wirtschaft­lich-technische Entwicklungszone aufgebaut. 1990 war die erste Aufbauphase abgeschlossen: mehr als 100 Industrieunternehmen auf 4 qkm, sowie Einrichtungen für Verwaltung, Handel und Dienstleistungen. Bis zum Jahre 2000 hoffte man, dieses neuartige Verarbeitungsindustriegebiet bis auf 15 qkm auszudehnen, mit 300-400 Betrieben und einer Bevöl­kerung von 100000 Menschen. Die Lage auf der anderen Seite der Bucht be­dingte allerdings hohe Kosten für die Verkehrsin­frastruktur. Von Jiaozhou aus mußte eine Stich­bahn entlang der Westküste gebaut werden, außerdem neue Hafenanlagen, sowie ein regelmäßiger Fährdienst eingerichtet werden. Doch erfüllte diese Entwicklungszone nicht die in sie gesetzte Erwartungen. Deswegen wurde 1993 östlich der Stadt eine zweite Entwicklungszone für Hightech-Industrie ausgewiesen. Im selben Jahr wurde auch ein Freihandelsareal (2,5 qkm) eingerichtet. Problematisch ist bei dieser forcierten Industrialisierung die Ver­sorgung mit Nutzwasser. Aus diesem Grunde wurde 1989 ein 290 km langer Kanal fertiggestellt, der täglich 300000 t Wasser vom Gelben Fluß (Huanghe) ins Stadtgebiet bringen soll. 

Tsingtau ist zugleich Marinehafen und fünftgrößter Handelshafen Chinas. Der Umschlag betrug 1995 51 Mill. t. Die Kaianlagen wurden ständig erweitert. Ursprüngliches Ausbauziel war eine Umschlagskapazität von 100 Mill. t jährlich. Zu dem Zweck entstanden für Öl, Kohle, Erze auf der Südwestseite der Bucht 60 Liegeplätze mit 40-60 Mill. t Umschlagskapazität. Tatsächlcih wurden 2004 dann 163 Mill. t Güter umgeschlagen.

Die zweite „Schiene“, auf der die Entwicklung vorangebracht werden soll, ist der Tourismus. Begonnen hat diese Funktion im Jahre 1902, als die ersten Badegäste eintrafen. Dementspre­chend wurde 1904 das Strandhotel an dem berühmten Badestrand der Huiquan Bucht errichtet, und bald wurde die Stadt die „Riviera des Fernen Ostens“ genannt. Die Kommunisten haben diese Tradition fortgesetzt und das 1920-45 entstandene Vil­lenviertel an der Taiping Bucht (German Beach) und Foushanso Bucht (American Beach) zu einem großen Sanatoriumsviertel umge­staltet. 1979 zählte man dort 18 Sanatorien mit 4000 Betten. Zwei neue Entwicklungsgebie­te für den Tourismus sind ausgewie­sen worden, eines liegt rund 12 km östlich der Stadt an der Küste bei dem Dorf Shilaoren. Die Pläne vom Jahre 1984 sahen vor: Hotels und Villen mit Ba­destrand, Wassersportanlagen, Golfplatz, ein luxuriöser internationaler Club, Konferenzhallen. Dieser Plan scheint inzwischen völlig überrollt worden zu sein von dem ungeheuren Bauboom, der in den letzten Jahren ausgebrochen ist, und der dazu geführt hat, daß auf der ca. 25 km langen Küstenstrecke am Fuße des Foushan, Wushan und Laoshan unzählige Bungalows und Wohnanla­gen entstanden sind, wohl hauptsächlich mit dem Geld von Auslandschinesen errichtet. Die andere Touristen- und Vergnügungszone liegt auf der Südseite der Jiaozhou-Bucht, in der Nähe zum wirtschaftlich-technischen Entwicklungsgebiet von Huangdao, so daß ein Teil der dort Beschäf­tigten hier wohnen und sich erholen kann. Das Gebiet trägt die Bezeichnung „Insel“ Xuejiadao, de facto ist es eine Halbinsel (Kap Jaeschke). Man muß sich fragen, ob dieses „auf zwei Beinen gehen“ – Entwicklung von Industrie u n d Fremdenverkehr – dem letzteren überhaupt bekömm­lich ist. Die weiter zunehmende Konzentration von Industrie in diesem Raum hat zu einer enor­men Verschmutzung der Luft und des Meerwassers geführt.

Für eine Modernisierung der Wirtschaft sind hochrangige Ausbildungs- und Forschungsinstitute wichtig. Zwar hatte man gleich nach dem 2. Weltkrieg die von den Japanern 1938 geschlossene Universität unter dem alten Namen „Shandong Universität“ wiedererrichtet, sie wurde aber in den 50er Jahren nach Jinan verlegt. Immerhin befanden sich in Tsingtau einige Fachhochschulen, wie die für Ozeanographie, für Medizin, für Chemie-, Textilingenieure u.a. Im Jahre 1985 wurde die Qingdao University gegründet, der Campus liegt weit draußen vor den Toren der Stadt am Hang des Foushan. Sie hat geistes- und naturwissenschaftliche Fächer, Jura, Wirtschaftswissenschaften. In der Abteilung „Literatur“ werden auch Fremdsprachen gelehrt, darunter auch Deutsch. Im Jahre 1993 wurden das Medical und Teacher’s College und das Shandong Textile Engineering Institute der Universität angegliedert, die sich seitdem als eine Comprehensive University bezeichnen darf. Das Ozeanographische Institut ist zur einzigen Ocean University of China aufgewertet worden. Auch ist hier das wichtigste Ozeanographische Forschungsinstitut, eine Abteilung der Akademie der Wissen­schaften. Weitere Hochschulen sind: Petroleum Univ. of China, Qingdao Campus. – Qingdao Univ. of Science and Technology. – Qingdao Technology Univ. – Shandong Univ. of Economics & Trade. – Qingdao Hotel & Management College. – Laiyang Agricultural Univ. –

Das Bundesland Bayern hat mit der Provinz Shan­dong einen wirtschaftlichen Partnerschaftsvertrag abgeschlossen. Im Oktober 1985 fand des­wegen in Tsingtau eine Ausstellung der bayerischen Wirtschaft statt, bei deren Eröffnung auch Ministerpräsident F.J. Strauß anwesend war. Im Gegenzug präsentierte die Wirtschaft Shandongs, und damit auch Tsingtaus, eine Veranstaltung 1987 in München. Seit 1991 findet jährlich ein „Internationales Bierfest“ in Tsingtau statt, wohl eine Kopie des Münchener Oktoberfestes. 1996 hatte es 930000 Besucher. Bundeskanzler Helmut Kohl und Ministerpräsident Li Peng statteten Tsingtau am 15. Nov. 1995 einen Besuch ab.

Die Multifunktionalität, die schon die Deutschen ihrer neuen Stadtgründung zugedacht hatten, wurde bis heute bewahrt: Die Hafenstadt Tsingtau ist eine wichtige Handels- und Indu­striestadt geworden, ein bedeutender Umschlagplatz für Waren und Rohstoffe (Kohle, Erdöl, Er­ze), Standort von Forschungsinstituten und Einrichtungen der höheren Bildung, außerdem Bade- und Erholungsort sowie Stützpunkt für die chinesische Kriegsmarine.