Geschichte des Internationalen Friedhofs in Tsingtau (1899 bis 1966)

Im Jahre 1959 verfasst von D. Dr. Wilhelm Seufert, Pfarrer i.R.

Mit Ergänzungen durch Dr. Wilhelm Matzat

Wir befinden uns im Jahr 2014. Viele Veranstaltungen und Publikationen werden in diesem Jahr einem Geschehen gewidmet sein, das vor 100 Jahren sich ereignete: der Beginn des 1. Weltkrieges, der „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“, wie ein Historiker ihn genannt hat. Auch in der Geschichte Tsingtaus brachte das Jahr 1914 eine markante Zäsur: die Kriegserklärung Japans an das Deutsche Reich und die daraus folgende Belagerung und Eroberung Tsingtaus. Über 4000 deutsche und österreichische  Männer hatten vergeblich versucht, die Stadt gegen den Angriff zu verteidigen. Rund 200 deutsche Männer sind gefallen, sie wurden auf dem deutschen Friedhof Tsingtaus in einem geschlossenen Bereich beerdigt. Während die Japaner bald nach 1914 im Forstgarten eine große, hohe „Pagode“ zum Andenken an die japanischen Gefallenen errichteten, hat die deutsche Gemeinde in Tsingtau erst 1930 ein Ehrenmal bei den Kriegsgräbern errichten können. Das japanische Denkmal wurde 1945, sofort nach dem Ende des 2. Weltkrieges, von den Chinesen gesprengt und beseitigt, während das deutsche Ehrenmal und alle Grabsteine des Friedhofes erst 1966 im Zuge der Kulturrevolution abgeräumt wurden. Die deutsche Seite, vor allem der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., hat nach 1966 immer wieder einmal an die chinesische Seite die Anfrage geschickt, ob nicht doch ein Gedenkstein bei den Kriegsgräbern von 1914  errichtet werden könnte. Diese Frage ist natürlich besonders im jetzigen  Gedenkjahr 2014 virulent. Sehr wahrscheinlich wird die chinesische Seite bei ihrer bisherigen Ablehnung bleiben.

            Auf jeden Fall möchte ich hiermit eine Geschichte des Internationalen Friedhofs von Tsingtau veröffentlichen, die Dr. Wilhelm Seufert im Jahre 1959 maschinenschriftlich festgehalten hat.

Seufert war 1912 als Missionar des AEPM nach Tsingtau gekommen, hatte im Herbst 1914 bei der Verteidigung Tsingtaus mitgewirkt und war dementsprechend bis 1920 als Kriegsgefangener in Japan. Er kehrte nach Deutschland zurück, beendete ein Sinologie Studium an der Universität Hamburg mit der Promotion zum Dr.phil., heiratete und traf im Sommer 1922 wieder in Tsingtau ein, wo er bis 1952 als fast alleiniger Missionar die Missionsstation Tsingtau der Deutschen Ostasien Mission (früher: AEPM) leitete. Ehrenamtlich war er auch Pfarrer der deutschen evangelischen Kirchengemeinde Tsingtaus. (Eine Biographie D.Dr.Wilhelm Seuferts habe ich hier auf tsingtau.org  bereits eingestellt. W.M.)

             Die Deutsche Vereinigung Tsingtau (DVT) hatte seit ihrer Gründung (1920) eine Friedhofskommission aufgestellt, die sich um die Pflege des Geländes kümmern sollte. Deren Vorsitzender war Seufert von 1922 bis 1952. Kein anderer Mensch, mit Ausnahme des Gärtners Yüe, hat also eine solche intime Kenntnis der Entwicklung des Tsingtauer Friedhofes innerhalb dieser 30 Jahre erwerben können. Seuferts (leicht gekürzter) Text wird in der Schriftart Arial wiedergegeben, meine Anmerkungen in kursiver Schrift.) Beim Lesen von Seuferts im Jahre 1959 verfassten Text muss man ständig beachten, dass zu der Zeit der Tsingtauer Internationale Friedhof noch (fast) völlig ungestört existierte, bestens betreut durch den Gärtner Yüe. Sein Gehalt wurde (bis 1966) entweder ganz, auf jeden Fall partiell durch kontinuierliche Überweisungen aus Deutschland mitfinanziert.

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Dr. Seufert schreibt:

Als einer der letzten Überlebenden, der 1912 noch die deutsche Zeit Tsingtaus kennen gelernt, dann als Soldat an der Verteidigung Tsingtaus teilgenommen und anschließend über 5 Jahre in japanischer Kriegsgefangenschaft verbracht hat, schließlich im Jahr 1922 wieder nach Tsingtau zurückgekehrt und dort bis 1952 verblieben ist, fühle ich mich  verpflichtet, die Geschichte des Friedhofs in großen Zügen  aufzuzeichnen, zumal da ich in der ganzen Zeit nach 1922 (mit Ausnahme meiner UrlaubszeitApril 1930 bis März 1931  und April 1939 bis Mai 1940) als Beauftragter der deutschen Gemeinde die Betreuung des Friedhofs geleitet habe. Natürlich kann ich mich nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern, aber im Großen und Ganzen glaube ich, Verlässlichkeit für diefolgenden Angaben beanspruchen zu dürfen.

Zunächst muss gesagt werden, dass es sich bei dem Friedhof um den ehemaligen deutschen Friedhof  handelt. Der Friedhof muss vom deutschen Gouvernement sehr bald nach der Besetzung an dieser Stelle angelegt worden sein, denn die älteren Gräber stammten aus d«n Jahren 1898 und 1899, es waren Gräber von den Besatzungstruppen und den Kriegsschiffen aus der Zeit der anfangs so gefährlichen Ruhrepidemien, die zahlreiche Opfer gefordert haben.

(Der erste Begräbnisplatz lag westlich des Brückenlagers, ungefähr dort, wo später die Deutsch-Chinesische- Hochschule errichtet wurde. Das Gouvernement meldet am 9.6.1899 dem Reichsmarineamt: „Ein neuer Friedhof wurde ausgesucht, da der alte nicht nur wegen der Nähe von Wohnungen, sondern auch aus Gesundheitsgründen schlecht gelegen ist. Die Überführung der Gräber wird im Juni 1899 stattfinden.“  Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg, RM 3/6888.  Der neue Friedhof lag am unteren Hang des Bismarckberges, auf früheren Ackerterrassen des Dorfes Hui Quan, das total abgerissen wurde und auf dessen ehemaliger  Gemarkung der Forstgarten angelegt wurde.)

Aus dieser frühen Zeit stammte auch auf der obersten Terrasse der westlichen Hälfte das Grabdenkmal für den in Tsingtau verstorbenen Gouverneur Jaeschke. Die Soldatengräber waren in diesem ältesten Teil des Friedhofs nicht getrennt von den  Gräbern der hier verstorbenen Zivilisten (in den ersten Jahren sehr viele Kindergräber!), unter denen sieh auch Ausländer befanden. Auch 2 Gräber von christlichen Chinesen, die der Berliner Mission angehörten, befanden sieh zwischen den Europäern.  (Die Katholische Mission hat immer ihre verstorbenen Angehörigen auf einem eigenen Friedhof auf eigenem Gelände beerdigt). Auf einer der unteren Terrassen waren mehrere russische Soldatengräber. Sie stammten von Toten des russischen Linienschiffes „Cäsarewitsch“ und des Kreuzers „Novik“, die, zusammen mit 3 Torpedobooten, im August 1904 aus Port Arthur ausgebrochen und in den Tsingtauer Hafen geflüchtet waren. Sie wurden mit Ausnahme der „Novik“ , die wieder in See ging, dort abgerüstet, die Mannschaft war bis Kriegsende dort interniert.

Auf einer neuen Terrasse der östlichen Hälfte des Friedhofs wurden die Gefallenen von 1914 beerdigt, und zwar zuerst in Einzelgräbern, dann nach dem Fall von Tsingtau in mehreren Massengräbern, die die deutsche Forstverwaltung vorsorglich dort (wie auch an anderen Stellen hinter der Kampflinie ) hatte ausheben lassen. Im Frühjahr 1922 wurden die Gefallenen des OMD (Ostasiatisches Marine-Detachement Tientsin-Peking) vom Kushan und die Gefallenen der Matrosenartillerie von den Walderseehöhen auf den Friedhof umgebettet. (Es sind die Gräber, die dem jetzigen Ehrenmal zunächst liegen.) Als ich 1922 nach Tsingtau zurückkam, war der Friedhof in der Zeit der japanischen Okkupation zum „International Cemetery“ geworden, der unter der Leitung eines Internationalen Komitees stand, dessen Vorsitz der englische Konsul innehatte, ich habe als deutscher Vertreter diesem Komitee angehört. In der japanischen Okkupationszeit war auch oberhalb des Zufahrtswegs zum Friedhof ein kleiner jüdischer Friedhof entstanden, der aber unabhängig vom »International Cemetery” war. Kopie  Die in der «Deutschen Vereinigung Tsingtau» (DVT) zusammengeschlossenen Deutschen nahmen sich alsbald der deutschen Gräber an. Während der Beschießung Tsingtaus hatten einige Granaten unter den Gräbern Verheerung angerichtet, und während der japanischen Okkupationszeit waren fast von allen alten Gräbern die Metallteile der Grabdenkmäler gestohlen worden und die

Holzkreuze z.T. verschwunden. Auf dem ältesten Teil der Gräber (1898 – ca. 1900} waren nicht mehr alle Namen feststellbar. Wo Zweifel bestanden, haben wir einen kleinen Grabhügel aufgeschüttet und die Plätze (auch ohne Namen) gesichert. Es geschah dies aus der Überlegung, der deutschen Bevölkerung Tsingtaus möglichst viele freie Plätze zu sichern, da bald mit einer internationalen Belegung des Friedhofs gerechnet werden musste. Der verdiente Leiter aller dieser Arbeiten von deutscher Seite war der Kaufmann Herr Martin Krogh, der später auf dem Friedhof seine letzte Ruhestätte gefunden hat.

Die Deutsche Vereinigung Tsingtau bekam für diese Arbeiten sehr bald Unterstützung von den deutschen Vereinigungen Ostasiens, so dass bald die Gräber mit Steinen eingefasst und dieGrabinschriften, soweit sie noch entzifferbar waren, erneuert werden konnten. Von allem Anfang an haben die Angehörigen der auf dem Friedhof Beerdigten, soweit sie noch in Ostasien lebten, Unterhaltungsbeiträge an die DVT bezahlt, und die DVT selbst hat aus ihrer Kasse einen Zuschuss geleistet. So kam es von selbst dazu, dass nur die DVT sich um die Pflegeund gärtnerische Ausgestaltung des Friedhofs kümmerte. In dieser Zeit wurde der chinesische Gärtner Yüeangestellt, der bis heute die Gräber betreut. Schon in dieser Frühzeit wurden von Herrn Krogh am Rande aller Terrassen Cypressen angepflanzt, die in der Zwischenzeit zu mächtigen Bäumen herangewachsen sind. Für die Aufstellung der halb stehenden Granitplatten mit den Namen auf diesen Gräbern bin ich verantwortlich gewesen. Ich erinnere mich noch gut, dass ich zu diesem Zweck eine Photographie des Friedhofs der Brüdergemeinde in Königsfeld/Baden vorgelegt habe und dass dieser Vorschlag allgemeine Zustimmung gefunden hat. Jedenfalls war die Steinfassung der Gräber und die gleichmäßige Ausstattung mit Grabsteinen fertig, ehe der Gedanke an die Errichtung eines Ehrenmals aufkam.

Im Jahre 1926 war die lebende Hecke um den Friedhof so durchlässig geworden und die Diebstähle von Blumen auf den Gräbernhatten so zugenommen, dass das Komitee des „International Cemetery“ den Beschluss fasste, eine Mauer um den Friedhof zu bauen und dafür eine Sammlung in der internationalen Gemeinde zu veranstalten. Zuvor aber sollte die Berechtigung des Komitees zu seiner Tätigkeit mit der chinesischen Verwaltung Tsingtaus abgeklärt werden. Die Verkennung des inzwischen erwachten chinesischen Nationalismus bei den abendländischen Vertretern war damals noch so groß, dass man beschloss, den Friedhof als „Western Cemetery“  zu reklamieren, also Chinesen von der Beerdigung dort auszuschließen. Ich hatte dringend geraten, den Friedhof als „Christian Cemetery“ zu erklären, was bei dem Vorhandensein eines direkt gegenüberliegenden jüdischen Friedhofs gut zu argumentieren war und damit die Beerdigung christlicher Chinesen auf dem Friedhof freizugeben, was bei deren kleiner Zahl keine Gefährdung des Friedhofs bedeutet hätte. Dieser Vorschlag wurde einstimmig abgelehnt. Man wollte nicht mit Chinesen zusammen auf dem Friedhof liegen. So kam vom damaligen chinesischen Gouverneur Chao Chi die Antwort, die zu erwarten war: „Abendländer und Chinesen lebten in Tsingtau so freundlich zusammen, dass sie auch auf einem gemeinsamen Friedhof beerdigt werden könnten.“

Dieser Vorstoß hatte aber die Folge, dass nun die chinesische Verwaltung, die sich bisher um den Friedhof nicht gekümmert hatte, die Aufsicht über den Friedhof in die eigenen Hände nahm und ihm den Namen „Tsingtao Fen-mu-di“, also „Tsingtau-Friedhof“ gab. Seither ist der Friedhof der Friedhof der chinesischen Stadtverwaltung. Das internationale Komitee löste sich auf, und die Belegung des Friedhofs erfolgte nach den Weisungen der Stadtverwaltung. Der Gouverneur Chao Chi ließ eine Mauer um den Friedhof und eine kleine Leichenhalle am Eingang bauen.  Zu dieser Zeit wurde auch ein chinesischer Friedhofsaufseher eingesetzt, der für die allgemeine Ordnung sorgen musste, sich aber nicht in die gärtnerische Betreuung des Friedhofs einmischte, die von nun an allein in den  Händen der deutschen Gemeinde verblieb.

Eine große Gefahr für die alten deutschen Gräber konnte noch glücklich abgewendet werden. Der Gouverneur Chao Chi hatte die alte deutsche Friedhofsordnung von mir eingefordert, um eine neue aufzustellen. Zu meinem Entsetzen fand ich darin den Paragraphen, der die Umgrabung der Gräber nach 25 Jahren anordnete. Gelangte dieser Paragraph in die neue chinesische Friedhofsordnung, so verfielen die alten Gräber zum großen Teil der Einebnung, zumal da für die wenigsten mehr Angehörige nachweisbar waren.

Zum  Glück war dieser Paragraph den Chinesen bei ihren Anschauungen von Gräbern rein unverständlich. Daher hat mich der Gouverneur um eine Übersetzung und Erläuterung der Friedhofsordnung aus deutscher Zeit. Dabei habe ich den Paragraphen so übersetzt, dass er sagte:  Gräber können  nach 25 Jahren, wenn die Angehörigen es wünschen, aufgegeben und neu belegt werden. Die Chinesen akzeptieren diese Deutung, und damit war die Gefahr für die alten deutschen Gräber zunächst beseitigt.  Die Frage ist auch nie wieder aufgenommen worden.

Die Übernahme der Verwaltung durch die chinesische Behörde hatte aber einschneidende Folgen für die Belegung des Friedhofs. Zunächst wurde auf der obersten Terrasse der östlichen Hälfte, im beabsichtigten Gegensatz zum Grabdenkmal des Gouverneurs Jaeschke, ein riesiges Denkmal für einen chinesischen General des Provinzialgouverneurs Chang Tsung-chang errichtet. Dieser General war in den Kämpfen der nördlichen Militärmachthaber gegen die von Süden heranmarschierende Nationalarmee Chiang Kai-sheks  schwer verwundet und im deutschen Faberkrankenhaus in Tsingtau bis zu seinem Tod verpflegt worden. Eine weitere Terrasse der östlichen Hälfte wurde mit Gräbern der im Dienst Chang tsung-changs stehenden russischen Söldner  (weiße Kreuze) und ihrer russischen Mädchen (schwarze Kreuze) besetzt und bildete in ihrer alsbald einsetzenden Verwahrlosung eine zusätzliche Aufgabe für die deutsche Friedhofsbetreuung. Aber in steigendem Maße machten chinesische Familien von der „billigeren” Beerdigung auf dem Friedhof Gebrauch und erwarben sich da z.T. belegte, z.T. unbelegte Grabstätten, die an allen freien Plätzen eingeschoben wurden und die alte Belegungsordnung völlig aufhoben. Als mit dem japanisch-chinesischen Krieg ( von 1937 an) die Beförderung von Särgen in die Heimat der Verstorbenen durch den überall herrschenden Guerillakrieg nahezu unmöglich gemacht wurde, war der Friedhof bald mit chinesischen Gräbern voll besetzt, sodass am Bergabhang oberhalb des alten Friedhofs ein neuer Friedhof eröffnet werden musste. Ausländer konnten auf dem alten Friedhof nur noch beerdigt werden, wenn der chinesische Friedhofsgärtner die Erklärung abgab, dass  sie Verwandte der auf dem alten Friedhof ruhenden Toten waren.

Im Jahre 1952 wurde dann von der (1949 eingezogenen) kommunistischen Verwaltung der alte Friedhof für jede weitere Belegung gesperrt und ein neuer Friedhof weit außerhalb der Stadt angelegt, auf den schon die letzten Verstorbenen der inzwischen auf ein kleines Häuflein zusammengeschmolzenen deutschen Kolonie verbracht werden mussten. Es unterliegt mir keinem Zweifel,  dass bei der Schließung des Friedhofs gut die Hälftechinesische Gräber waren,  wenn auch die Gräber der Ausländer wegen Ihrer offeneren Lagerung flächenmäßig einen größeren Saum einnahmen. Es muss besonders hervorgehoben werden,  dass trotz aller dieser Erschwerungen die deutsche Seite ohne Unterbrechung die gärtnerische Pflege des ganzen  (unteren)  Friedhofs geleistet hat und dass daher an Sonn- und Feiertagen,  an denen die Friedhofstore offen standen, der Friedhof ein beliebtes Ausflugsziel der chinesischen Bevölkerung war.

Das Ehrenmal

Das Ehrenmal am Ende der Terrasse,  auf der die 1914 Gefallenen beerdigt sind, wurde 1930 errichtet. Die Behauptung in einer Veröffentlichung des Volksbundes,  dass es vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. errichtet worden sei, ist nicht  zutreffend.    Es müssteheißen, dass es „unter Mitwirkung“ des Volksbundes  erstellt worden ist. Die Deutsche  Vereinigung Tsingtau hatte 1929 einen Aufruf an die ehemaligen Mitkämpfer und die deutschen Gemeinden Ostasiens  erlassen,  in dem zu Spenden für die Errichtung eines Ehrenmals  aufgefordert worden war. Diese Sammlung hatte  ein außerordentlich günstiges Ergebnis. An ihr war auch der Volksbund mit einem namhaften Betrag beteiligt. Die vorhandeneSumme gestattete es,  ein öffentliches Preisausschreiben zu erlassen, das in Deutschland über den Volksbund ging, in Ostasien aber direkt an die deutschen Gemeinden geleitet wurde. In Tsingtau war eine Denkmalskommission eingesetzt worden,  die unter der Leitung des damaligen deutschen Konsuls, Generalkonsul Schirmer, stand und der die Vertreter der deutschen Gemeinde und der evangelischen und katholischen Kirche angehörten.

Als Fachmann war der in Tsingtau lebende deutsche Architekt Paul Friedrich Richter zugezogen, dem dann die Bauleitung übertragen wurde. Entwürfe kamen nicht nur aus Deutschland, sondern aus mehreren Gemeinden Ostasiens. Die Denkmalskommission entschied sich für den Entwurf eines Karlsruher Architekten,  dessen Namen mir leider entfallen Ist. Dieser Architekt besorgte auch die Herstellung der bronzenen Teile  (Kreuz oben,  Fackel auf der Vorderseite und Inschrift am Sockel),  die nach Tsingtau geschickt und dort eingefügt wurde. Die chinesische Guomindang Verwaltung unter Admiral Shen Hung-lie (heute in Taiwan), von der ich als Mitglied der Denkmalskommission die Erlaubnis einholen musste, hat freundliches Entgegenkommen gezeigt.  Die Friedhofsmauer, die im schiefen Winkel zu der Gefallenen-Terrasse verlief, musste abgebrochen und hinaus geschoben werden, um einen rechtwinkeligen Abschluss zu gewinnen. Die Erlaubnis zu dieser Änderung wurde gern erteilt.  Der Bau des Denkmals erfolgte im Sommer 1930 und war bis zum 7.November, dem Gedenktag des Falls von Tsingtau, fertiggestellt. Ich selbst habe an der Einweihung nicht teilgenommen, da ich auf Urlaub in Deutschland weilte. Leider wurde bei der Einweihung eine Einladung der chinesischen Behörden vergessen. Oberbürgermeister Admiral Shen Hung-lie hat sich nach meiner Rückkehr bitter über dieses Versäumnis beschwert, war aber trotzdem bis zu seinem Abzug vor den anrückenden Japanern in der Nacht des 31 .Dezember 1937 den Deutschen in allen Friedhofsangelegenheiten wohl gewogen.

(Seuferts Darstellung macht hier einen Sprung. Das erste Preisausschreiben fand bereits 1927 statt. Das Preisgericht vergab im Februar 1928 keinen Preis, offensichtlich war man mit den eingesandten Entwürfen nicht zufrieden. Über das zweite Preisausschreiben entschied das Preisgericht im Mai 1929, es vergab den 1. Preis an Stadtbaurat Otto Roth in Karlsruhe. Sein Entwurf wurde auch ausgeführt. Es bestand aus einem viereckigen Gedenkstein aus Granit, 8 m hoch. Oben wurde er von einem kleinen Kreuz überragt, an der Schauseite eine flammende Fackel, unten die Inschrift: „Den Gefallenen von Tsingtau 1914“, alles aus Bronze. Die Bronzeteile kamen aus Deutschland. Die Inschrift wurde im März 1931 gestohlen, sie wurde danach aus Stein gemeißelt. Die Kosten der Errichtung betrugen rund 4500.- mex. $.

Die Einweihung fand am 7. November 1930 statt. Man versammelte sich zunächst am Beginn der Terrasse. Die Kapelle des Dampfers „Coblenz“spielte das „Niederländische Dankgebet“. Missionar C.J.Voskamp, sein 2. Sohn war bei der Verteidigung Tsingtaus gefallen, hielt die Weiherede. Dann sang der gemischte Chor den Choral „Wir erheben unsere Hände“. Unter den Klängen der Kapelle: „Es geht bei gedämpftem Trommelschlag“ marschierten die Teilnehmer zum Denkmal, Schulkinder trugen die Kränze. Der Chor sang dort: „Morgenrot, Morgenrot“. Der Vorsitzende der Deutschen Vereinigung, Herr Busch, hielt dann eine Ansprache. Als Schlusslied sangen alle: „Ich hatt’ einen Kameraden“.)

Wann die Zahlungen des Volksbunds für die Kriegsgräberpflege in Tsingtau eingesetzt haben, kann Ich nicht mehr mit Sicherheit sagen. Es ist gewiss einige Zeit nach dem Ende der Inflation (1923) gewesen. Von da an bis zum Ende der Kriegszeit 1945 hat der Volksbund jährlich Beträge überwiesen, die für die Pflege der 1914 Kriegsgräber  ausreichend waren. Für die Instandhaltung des weitaus größeren Teils des übrigen Friedhofs musste die deutsche Gemeinde aufkommen, der die Angehörigen der dort Beerdigten, soweit sie erreichbar waren, regelmäßige Zahlungen leisteten. Nach dem Ende des Krieges, 1945,  mit dem Aufhören der Deutschen Gemeinde Tsingtau, übernahm die von Herrn J.H. Schlichtiger geleitete „Deutsche Nothilfe“ die Zahlungen, bis der Verkehr mit der Heimat wiederhergestellt war und nun die Unterstützung des Volksbunds durch Vermittlung des Ostasiatischen Vereins Hamburg-Bremen wieder einsetzte. Sie enthieltund enthält auch heute noch Stiftungen des OAV und einzelne Zahlungen von deutschen Grabinhabern.

Bis zum 7.November 1951 fanden an diesem Jahrestag regelmäßig Gedenkfeiern statt, zu denen die Kriegsgräber und übrigen Gräber reich mit Blumen geschmückt wurden. Die Gedenkrede in diesen Jahren habe ich seit 1922 regelmäßig gehalten, bis mir, nachdem die DVT  von der Tsingtauer Ortsgruppe der NSDAP in eine „Deutsche Gemeinde“ als Unterabteilung der Partei verwandelt worden war, diese Aufgabe vom Ortsgruppenleiter abgenommen wurde.  Nur am 30.Jahrestag des Falls von Tsingtau, am 7.November 1944, setzten die alten Kriegsteilnehmer es durch, dass die Rede Herrn J.H. Schlichtiger als ihrem ältesten Kameraden übertragen wurde, wobei der Redner mit großem Mut auf die aussichtslose Lage Deutschlands hinwies und dafür den erbitterten Protest der Parteigenossen erntete.

Im Sommer 1933 fand beim Besuch des Kreuzers „Köln“in Tsingtau unter Beteiligung des größten Teils der Besatzung eine Feier vor dem Ehrenmal mit anschließendem Vorbeimarsch vor dem Kommandanten statt. Die chinesische Verwaltung hatte die Beteiligung einer Ehrenkompanie mit Waffen nicht genehmigt.

Nach Kriegsende 1945 wurde von der chinesischen Verwaltung die Bepflanzung um das Jäschke-Denkmal entfernt, um für die Beerdigung der amerikanischen Soldaten Platz zu  schaffen, die hier in den verschiedenen Lazaretten gestorben waren. Im Oktober 1945 waren gegen 30000 Mann amerikanischer Truppen nach Tsingtau gebracht worden, um den Chinesen bei der Übergabe der japanischen Truppen und beim Abtransport der japanischen Bevölkerung behilflich zu sein. Da ein beträchtlicher Teil dieser Truppen von den schweren Kämpfen in Okinawa kam, waren die Todesfälle noch zahlreich. Vor dem Abzug der Amerikaner   im Januar 1949 wurden diese Gräber wieder geöffnet und nach Amerika überführt. Die frei gewordenen Plätze wurden rasch von chinesischen Gräbern besetzt.

Seit dem Abtransport der meisten Deutschen von Tsingtau 1946 und 1947 hat Herr F. Bischof die Pflege der Gräber übernommen und sie mit Hilfe des treuen Gärtners Yüe weitergeführt.  Auch nachdem Herr Bischof von der chinesischen Verwaltung nach Suzhou / Jiangsu versetzt worden war, hat er von dort aus die Betreuung mit größter Aufopferung und Gewissenhaftigkeit geleitet.  Ihm verdankte der Friedhof den gepflegten Zustand, in dem er von verschiedenen späteren Besuchern angetroffen wurde.

Nach seinen Mitteilungen besteht jetzt Gefahr für die Erhaltung des Friedhofs. Die schonen alten Bäume sind auf dem Friedhof ausgegraben und anderweitig verwendet worden. Die Gräber selbst sind mit Rizinus bepflanzt worden. Beim Ausgraben der Bäume sind  viele Grabsteine umgestürzt und tiefe Löcher hinterlassen worden.

Herr Bischof bemüht sich jetzt,  diese Schäden, soweit möglich wieder zu beseitigen.  Die Terrasse mit den deutschen Kriegergräbern von 1914 und dem Ehrenmal ist bisher nicht angegriffen.  Aus meiner Kenntnis der Sachlage halte ich eine Beseitigung des alten Friedhofs und eine evtl.  Verlegung der Gräber für sehr wahrscheinlich, wenn auch diese Frage im Augenblick wieder einmal zu ruhen scheint. Der alte Friedhof liegt zu nahe an der sich nach allen Seiten ausdehnenden Stadt. Eine erste Nachricht über eine geplante  Verlegung sprach von der Gewinnung von Baugelände für Sanatorien. Für solche Bauten wäre der Platz besonders günstig, da sich unterhalb des Friedhofs der gut gehaltene   «Befreiungspark«   (ehemals deutscher Forstgarten) ausdehnt. Nimmt man noch die erklärte Absicht der kommunistischen Verwaltung hinzu, alle Spuren der  „imperialistischen“  Zeit Tsingtaus zu beseitigen,  so muss man damit rechnen, dass über kurz oder lang diese Änderung vollzogen wird und dass sich die chinesische Verwaltung schwerlich durch irgendwelche Proteste davon abhalten lassen wird. Das Beste, was sich vielleicht erreichen ließe, wäre eine rücksichtsvolle Verlegung.

Es muss aber dabei bedacht werden, dass Herr Bischof schon lange darum bemüht ist, die Ausreiseerlaubnis aus China zu erhalten. Der Gärtner  Yüe muss schon sehr alt sein und kann sicher diese Arbeit nicht mehr lange leisten. In Tsingtau selbst wohnt nur noch ein Deutscher, der alte Landmesser Wagner, der sicher schon hoch in den 80er Jahren ist und nur eine Tochter bei sich hat,von der es fraglich ist, ob sie nach dem Tode des Vaters in Tsingtau verbleiben wird. Die Aussichten für Herrn Bischof, einen geeigneten Nachfolger zu finden, sind also denkbar schlecht. Damit bleibt die Zukunft des Tsingtauer Friedhofs eine mit allen Unsicherheiten belastete Frage, für die schwer eine gute Lösung zu finden sein wird.

3. September 1959

D. Dr. Wilhelm Seufert,
Pfarrer i.R.
Freiburg – Günterstal,
Horbenerstr. 20

(Sieben Jahre nach Seuferts Niederschrift ist es dann doch zu einer „unguten Entwicklung“ gekommen. Mao Zedong begann die sog. Kulturrevolution, die u.a. starke fremdenfeindliche Züge hatte. Als die Kommunisten die Macht übernahmen (1949), hatten sie angekündigt, dass sie alle Zeugnisse des früheren Imperialismus beseitigen wollen. In Tsingtau, das gerade ausgesprochen eine Frucht des Imperialismus war, ist nach 1949 bezüglich der Bausubstanz kaum etwas passiert. Auch während der Kulturrevolution nach 1966 sind Gebäude kaum beschädigt worden, nur die russisch-orthodoxische Kirche in der Kinkow Straße scheint zu diesem Zeitpunkt abgerissen worden zu sein. Das „Hauptopfer“ 1966 war eben der Internationale Friedhof. Abgeräumt wurden aber nur die Grabsteine, die Bestatteten wurden in Ruhe gelassen. Hermann Neukamp hat in den Jahren 1977 bis 1987 eine umfangreiche „Tsingtau Sammlung“ geschaffen, die sich jetzt in der Bayerischen Staatsbibliothek befindet. Er hatte Kontakt zu Tsingtau Chinesen, die ihm bei der Suche nach historischen Dokumenten aus der deutschen Zeit halfen. Zur Zerstörung des Internationalen Friedhofs meldet ihm einer von ihnen im August 1980: „Wenn Sie die Spuren des früheren Friedhofs folgen möchten, müssen Sie das Krematorium aufsuchen, das parallel zu Syfang liegt. Während der Kulturrevolution sind sämtliche Friedhöfe dem Erdboden gleichgemacht worden. Die gut erhaltenen Grabsteine sind abgerissen und zum Krematorium transportiert worden. Ein 500 Meter langer zweispuriger Weg führt zu dem Krematorium. Die beiden Seiten dieses Weges wurden mit den abgerissenen Grabsteinen gepflastert. Also die Trennlinie zwischen der Straße und den beiden Feldern, die der Straße angeschlossen sind. Die besonders großen und kostbaren Grabplatten wurden für die Bänke und Tische verwendet, die im Hofe des Krematoriums angebracht worden sind. Alles ist für Ausländer gesperrt.“

Nicht alle Grabsteine sind zum Krematorium gebracht worden, ein Teil wurde zum Verfüllen von Straßen und im Forstgarten (Zhong Shan Park) zur Grabenbefestigung verwendet. Als ich 1981 zum ersten Male nach 1946 wieder in Tsingtau war, habe ich natürlich das ehemalige Friedhofsgelände aufgesucht, weil meine Eltern dort bestattet sind. Da mein Vater sehr früh gestorben war, bin ich in meiner Jugendzeit mit meiner Mutter und meinem Bruder immer wieder zur Grabespflege dort gewesen, so dass ich den Friedhof sehr gut kenne. 1981 war die alte Terrassenstruktur noch deutlich erhalten, so konnte ich die Terrasse mit den deutschen Kriegsgräbern von 1914 eindeutig identifizieren, auch die Grabesstelle meiner Eltern, die genau eine Terrasse tiefer liegt. In den 1990iger Jahren ist das alte Friedhofsgelände zusammen mit dem Areal der westlich daneben liegenden Gärtnerei zu einem öffentlichen Park mit Bäumen und Grünland umgestaltet worden (Bai Hua Yuan).  Auch das Geländerelief wurde verändert, mit neuer Wegführung und dem Verschwinden der früheren Terrassen. 

Herr Bischof ist 1970 in Suzhou gestorben, Herr Seufert 1974 in Lörrach. Beide haben also den Untergang der Grabesstätten miterleben müssen.  W.M.)