Otto Günther wurde am 9.3.1870 in Friedrichsfelde, Krs. Niederbarnim, Brandenburg geboren. Über seine Berufsausbildung ist nichts bekannt. Entweder hat er sich als Verwaltungsfachmann oder als Jurist ausbilden lassen, eventuell als beides. Er kam bereits 1898 als Angestellter der Schantung-Eisenbahn-Gesellschaft nach Tsingtau. Ende 1900 wurde er der dritte Zivilkommissar des Kiautschou-Gouvernements und blieb Chef der zivilen Landesverwaltung Tsingtaus bis zum 7.11.1914.
1904 wurde er zum Admiralitätsrat ernannt, 1909 zum Geheimen Regierungsrat. Verheiratet war er mit Gertrud Schmaltz. Dem Ehepaar wurden in Tsingtau 2 Töchter geboren: Marie-Helene am 5.6.1907 und Elisabeth Charlotte am 29.8.1908.
Als der 1. Weltkrieg ausbrach, blieb das Ehepaar Günther, zusammen mit den Töchtern, in Tsingtau. Nach der Besetzung Tsingtaus durch die Japaner am 7.11.1914 wurde Otto Günther von ihnen jahrelang in Einzelhaft im Polizeigebäude von Tsingtau festgehalten. Täglich durfte er nur eine Stunde „spazierengehen“, von einem japanischen Soldaten bewacht. Die Gründe für diese grausame Behandlung sind nicht klar. Eine ganze Reihe deutscher Männer haben sich von 1914 bis 1920 in Tsingtau aufgehalten, ohne daß sie inhaftiert wurden. Die Japaner hätten Günther ausweisen können, wie sie es mit dem Gouvernements-pfarrer Ludwig Winter am 10.5.1915 gemacht haben, oder sie hätten ihn nach Japan in die Gefangenschaft abführen können. Tatsächlich geschah dies dann auch, aber erst am 20.5.1918 in das Lager Bando. Jedoch kehrte er bereits am 6.12.1918 nach Tsingtau zurück (Mitteilung von J.H.Schmidt). Günther und seine Familie kehrten 1920 mit dem letzten Transport-dampfer, der deutsche Kriegsgefangene aus Japan nach Deutschland brachte, zurück. In Berlin wurde er in das Reichsentschädigungsamt berufen und leitete dort die Entschädigungs-kommission für das Kiautschougebiet. Nachdem diese ihre Arbeit abgeschlossen hatte, begab sich Günther in den Ruhestand und zog sich in seinen Geburtsort Berlin-Friedrichsfelde zurück, wo er in der Schloßstr. 3 wohnte. Dort ist er am 17.04. 1942 an Herzversagen gestorben. Als Erbin wird seine jüngere Tochter, Elisabeth Charlotte Günther genannt, die 33jährig damals (noch) nicht verheiratet war. (Nachruf in Ostasiatische Rundschau 1942, S. 116, gez. Ro. Es handelt sich entweder um den ehemaligen Tsingtauer Richter Romberg oder um Rosenberger.)
Obwohl Günther ununterbrochen von Ende 1900 bis Nov. 1914 den Posten des Zivil-kommissars innehatte, fällt auf, daß er in geschichtlichen Abhandlungen über das Pachtgebiet Kiautschou kaum erwähnt wird. Das hat mehrere Gründe. Als er das Amt übernahm, waren die maßgeblichen Entscheidungen für die Entwicklung des Gebietes in den 3 Jahren von Sommer 1898 bis Sommer 1900 gefallen. Geschäftsträger als Zivilkommissar in dieser Gründungsphase war der Chefdolmetscher Dr. Wilhelm Schrameier gewesen. Er hatte die Weichen gestellt, und auch als „Kommissar für chinesische Angelegenheiten“ von 1900 bis Januar 1909 war er die dominierende Person in der Administration. Einige haben ihn auch als den „eigentlichen Gouverneur“ bezeichnet. Es ist Günthers persönliches Pech, daß er bis Januar 1909 ganz im Schatten von Schrameier gestanden hat. Günther war eine integre, verbindliche, ausgleichende Persönlichkeit. In dem Nachruf heißt es: „Wenn nach einem Worte Treitschkes außer der gründlichen Sachkenntnis die Liebe zum Detail den bedeutenden Verwaltungsbeamten macht, so war Günther der geborene Verwaltungsbeamte.“ Nicht jeder wird dieses Urteil über einen klassischen Bürokraten als positiv bewerten.
Frau Gertrud Günther leitete während der Belagerung Tsingtaus das Kriegslazarett „Seemannshaus“ und hat sich zusammen mit vielen anderen Frauen in Tsingtau während des 1. Weltkrieges engagiert darum bemüht, das Los der deutschen Kriegsgefangenen in Sibirien und Japan zu mildern, u.a. durch Sammlung von Kleidungsstücken und Expeditierung dahin. In Tsingtau setzte sie sich dafür ein, die weit im Gelände verstreuten Einzelgräber der deutschen Gefallenen in kleinen Friedhöfen zu vereinen und für deren pietätvolle Pflege zu sorgen. Privat arbeitete sie unablässig daran, den Japanern Erleichterungen für ihren inhaftierten Gatten abzutrotzen.
In Berlin ist Frau Günther am 16.02.1927 nach kurzer schwerer Krankheit gestorben.
(Nachrufe durch Prof. Hans Wirtz und Admiral Oskar von Truppel in Ostasiatische Rundschau 1927, S. 64 und 79/80)