Wilhelm Wagner wurde am 27.09.1886 geboren zu Oelsberg bei Nastätten, Kreis St.Goarshausen, als Sohn des Bauunternehmers Philipp Wagner und der Katharina, geb. Schmidt. Er besuchte die Oberrealschule in Wiesbaden bis zum Abitur 1906. Vom WS 1907/08 bis zum SS 1910 absolvierte er in Bonn ein Studium im Fach Landwirtschaft an der landwirtschaftlichen Akademie und im Fach Nationalökonomie an der Universität Bonn. Im Juni 1910 bestand er das Examen für Landwirtschaftslehrer und promovierte am 23.11.1910 zum Dr.phil. im Fach Landwirtschaft mit der Arbeit: „Die Entwicklung des Rinderkörpers von der Geburt bis zum Abschluss des Körperwachstums“ (gedruckt Hannover 1910).
Im Januar 1911 (Wagner war erst 24 Jahre alt) wurde er vom Reichs-Marine-Amt als Dozent für Landwirtschaft an die Deutsch-Chinesische Hochschule in Tsingtau berufen. Diese war im Oktober 1909 gegründet worden, zunächst mit einer technisch-naturwissenschaft-lichen und einer juristisch-staatswissenschaftlichen Abteilung. Sein Auftrag war, der Hochschule eine land- und forstwirtschaftliche Abteilung anzugliedern. Wagner, der am 31.03.1911 in Tsingtau eingetroffen war, stürzte sich mit jugendlichem Elan auf diese Aufgabe und bis 1914 war der Aufbau mehr oder weniger geschafft. Seine eigenen wissenschaftlichen Untersuchungen aus der Zeit seiner Tätigkeit dort legte er nieder in der von ihm herausgegebenen Schriftenfolge: „Berichte aus der land- und forstwirtschaftlichen Abteilung der Deutsch-Chinesischen Hochschule“. Fünf Hefte sind bis Juli 1914 erschienen (ich besitze die ersten 4 Hefte).
Der Ausbruch des Krieges, die Belagerung und Besetzung Tsingtaus durch die Japaner im November 1914 vernichtete die dreijährige Aufbauleistung. Wagner, der bei der Belagerung als Gemeiner im Landsturm mitgewirkt hatte, wurde erst im Januar 1915 zusammen mit vielen anderen Landsturmleuten von den Japanern verhaftet und nach Japan gebracht.
Wagner nutzte die unfreiwillige Muße dort, um eine Gesamtdarstellung der chinesischen Landwirtschaft niederzuschreiben, nach seiner Meinung die erste in einer europäischen Sprache. Am Ende der Gefangenschaft lagen fast alle Kapitel druckfertig vor, mit Ausnahme der Ausführungen über das Klima und die Bodenverhältnisse.
Die Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft kam im Dezember 1919, Rückkunft in Deutschland im Frühjahr 1920. Er betrachtete Wiesbaden als seinen Heimatort und dort fand er gleich eine Anstellung in der Landwirtschaftskammer für den Regierungsbezirk Wies-baden. Hier benötigte er eine Zeit, um sich in den neuen Beruf einzuarbeiten, so dass er erst im Sommer 1924 die beiden ersten Kapitel in druckfertige Form bringen konnte. Auch mussten die anderen Kapitel umgearbeitet werden, da sie in dem ursprünglich vorgesehenen Umfange nicht gedruckt werden konnten. Anfang 1926 ist dann Wagners opus magnum beim Paul Parey Verlag in Berlin erschienen, mit dem Titel: „Die Chinesische Landwirtschaft“.
Im Oktober 1926 war Prof. Dr. Zhu Jiahua Rektor der Sun-Yatsen-Universität in Canton geworden. Er fand eine total heruntergewirtschaftete Universität vor. Um sie wieder zu einer seriösen Institution aufzubauen, beschloss er, viele Fächer mit deutschen Professoren zu besetzen, vor allem in der medizinischen Fakultät. Er wandte sich an den Verband für den Fernen Osten in Berlin, der ihm entsprechende Dozenten vermittelte. Auch die Institute für Agrar- und Forstwirtschaft sollten eine deutsche Leitung erhalten. Es überrascht nicht, dass der VFO bezüglich der Agrarwissenschaft sich an Dr. Wagner wandte, der ja gerade sein Hauptwerk: „Die Chinesische Landwirtschaft“ veröffentlicht hatte. Dieser war bereit, nach China zu gehen und traf April oder Mai 1927 in Canton ein, wo es für ihn eine unangenehme Überraschung gab. Zhu hat am 30.08.1927 einen ausführlichen Bericht verfasst über seine (meist negativen) Erfahrungen mit den aus Deutschland gekommenen Dozenten und Professoren. Er schickte den Report an Dr. Max Linde in Berlin, den Vizepräsidenten des VFO. Über Wagner schreibt er: „Zu meinem großen Schrecken hinterließ Herr Dr. Wagner bei seinem Antrittsbesuch einen direkt unerträglichen Eindruck. Als ich ihm sagte, daß er seine Vorlesungen in englischer Sprache abzuhalten habe, war er sehr erbost darüber und sagte mir, daß er sofort wieder nach Deutschland zurückfahren wolle, denn es sei ihm ganz unbekannt gewesen, daß als Bedingung und Voraussetzung seiner Berufung, die Beherr-schung der englischen Sprache gefordert worden sei. Er scheint, wenn ich mich nicht täusche, auch derjenige zu sein, der die übrigen Herren sehr ungünstig beeinflußt hat. In ihm sehe ich die Verkörperung der Europäer, die vor dem Weltkriege leider so zahlreich bei uns zu treffen waren. Dr. Wagner zeigte kein bißchen guten Willen und auch den südchinesischen Land-wirtschaftsproblemen gegenüber vermißte ich bei ihm auch nur das geringste Interesse. Ich zerbreche mir heute noch den Kopf, weshalb er überhaupt die Ausreise hierher angetreten hat. Auch seinen chinesischen Kollegen gegenüber legte er eine so merkwürdige Fremdheit in Landwirtschaftsdingen an den Tag, daß ich sehr bezweifle, ob seine wissenschaftlichen Kenntnisse überhaupt noch auf der Höhe sind. Es müssen irgendwelche Mißverständnisse obwalten, denn aus den Kopien der gewechselten Telegramme ersehe ich, daß ich ausdrücklich Beherrschung der englischen Sprache und wissenschaftliche Tätigkeit für den Forstmann sowohl wie für den Landwirt als Voraussetzung betont habe. Bei Dr. Wagner war leider beides nicht vorhanden, darum bat er mich, ihn wieder nach Deutschland zurückreisen zu lassen, welcher Bitte ich stattgegeben habe, nachdem er mir schriftlich versichert hat, daß er bei seiner Berufung die oben erwähnten Bedingungen nicht gekannt habe. Ich habe Dr. Wagner 100 Pfund für die Rückreise ausbezahlt, jedoch mit der Maßgabe, daß, falls seine Behauptung sich nicht als zutreffend herausstellen sollte, er seine Aus- und Rückreisekosten an die Sun Yatsen-Universität zurückzubezahlen habe. Wie es auch sei, beim besten Willen konnte ich Dr. Wagner nicht hier behalten. Denn es war von vornherein ausgeschlossen, daß er unter den hiesigen Verhältnissen segensreich sich betätigen oder wirken konnte.“ (Der Brief des Zhu Jiahua ist abgedruckt in der Quellensammlung: „Deutsch-chinesische Beziehungen 1928-1937“, Herausgb. von Bernd Martin, Berlin 2003, S. 300-306.)
Wagner hat also insgesamt nur 14 Tage sich in Canton aufgehalten, fuhr dann nach Shanghai und von dort nach Deutschland und Wiesbaden zurück.
(Weitere Lebensdaten sind z.Zt. nicht bekannt.)